Je länger die Corona-Krise andauert, desto größer scheinen mir Mißtrauen und Ungeduld zu werden. Gehen die Einschränkungen nicht doch zu weit, können sie nicht schneller und weitgehender zurückgenommen werden? Dauert dieses so andere Leben jetzt noch Wochen, Monate oder gar bis ins kommende Jahr? Diese Fragen beherrschen unsere Gesellschaft, die Politik; besonders die Wirtschaft drängt auf schnellere Lockerungen. Ich frage mich: Wann endlich kann ich meinen Vater wieder besuchen, wann meine Enkelkinder in den Arm nehmen? Wann können wir wieder Gottesdienst feiern? Die meisten von uns fühlen sich wohl, wenn sie Dinge und Geschehnisse vorhersehen, beeinflussen, kontrollieren können. Das ist uns in dieser Zeit auf ungekannte Weise aus der Hand genommen. Unter diesem „Kontrollverlust“ leiden viele Menschen sehr.
Eine Tugend wird angesichts dieser Situation immer wieder „beschworen“: die Geduld. Sie ist eine zentrale Tugend keinesfalls nur, aber besonders auch im Christentum. Seid geduldig gegen jedermann, heißt es im 1. Thessalonicherbrief und im Hebräerbrief kurz und knapp: Geduld aber habt ihr nötig. (Hebr 10,36) Wie wahr. Wo Martin Luther mit „Geduld“ übersetzt, steht im griechischen Urtext meistens ein Wort, das wörtlich „Darunterbleiben“ heißt. Geduld ist danach also die Haltung, die uns unter etwas, eben auch Schwerem und Leid, bleiben lässt, aushalten, standhalten. Bemerkenswerterweise wird „Geduld“ dabei fast immer in einem Atemzug mit „Hoffnung“ genannt. Geduld können wir bewahren, wenn und weil wir Hoffnung auf ein Danach haben.
Geduld kann man sicher lernen. Aber das ist nicht so leicht. Ich kenne viele Menschen, die sich mit der Geduld schwer tun, mich selbst eingeschlossen. Geduld ist für christliches Verständnis auch nicht in erster Linie eine dem Menschen durch Übung zur Verfügung stehende menschliche Fähigkeit, sondern ein Wesensmerkmal Gottes, Ausdruck seiner Haltung uns gegenüber: Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von großer Güte (Ps 103,8). Und wenn wir als Menschen Geduld haben, ist das im letzten nichts anderes als eine Gabe von Gott, eine Teilhabe an seinem Wesen, das Wirken seines Heiligen Geistes in uns: Die Frucht aber des Geistes ist… Geduld..., schreibt Paulus (Gal 5,2). Um diese Gabe zu bitten, uns für sie öffnen, das ist etwas, was wir in diesen Tagen tun sollten – sicher noch mehr als sonst.
Ein letztes noch: Wie viel Ungeduld zerstören kann, wissen sicher auch nicht wenige unter uns. Auf meinem Balkon habe ich Blumensamen in Kästen und Kübeln ausgesät. Die ersten zarten Pflänzchen lugen aus der Erde heraus. Was geschähe, wenn ich voller Ungeduld an ihnen zöge, damit sie schneller wachsen? Ich risse sie aus. Ein wenig banal dieses Beispiel, ich weiß. Dennoch: Es ist ein Bild dafür, wie lebens-notwendig Geduld oft ist. Auch für uns und alle, deren Leben wir schützen wollen.
Pastorin Dr. Wiebke Bähnk