24. Mai 2021 · Kategorien: Aktuelles, Andacht

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und Jesus Christus, unserm Herrn

Liebe Gemeinde,
vor und während des Ökumenischen Kirchentages in der vorletzten Woche in Frankfurt stand vor der St. Katharinenkirche, direkt in der Innenstadt Frankfurts, ein riesiger blau angestrichener Tisch. Dieser Tisch bestand aus mehreren einzelnen Tischteilen, alle mindestens 2 m hoch. Und um den Tisch herum standen 13 Stühle, alle zwar unterschiedlich groß, aber auch sehr hoch; alles für eine alltägliche Nutzung für Menschen normaler Lebensgröße absolut überdimensioniert.


Ein Tisch heißt diese Kunstinstallation. Ein Tisch. Nämlich der, an dem wir eines Tages gemeinsam im Reich Gottes sitzen werden, wie Jesus Christus es uns versprochen hat. Ich werde von nun an nicht mehr an von diesem Gewächs des Weinstocks trinken bis an den Tag, an dem ich aufs Neue davon trinken werde mit euch in meines Vaters Reich. Ein Tisch. Nämlich der, der der Gemeinschaft entspricht, in die Er uns führen will. Ich bitte … für die, die .. an mich glauben werden, dass sie alle eins seien. Wie du, Vater, in mir bist und ich dir, so sollen auch sie in uns sein, dass die Welt glaube, dass du mich gesandt hast, so betet Jesus Christus. Ein Tisch. Als Zeichen der Gemeinschaft, in die der Heilige Geist uns führt, in der die Kraft des Geistes uns zusammenbindet. Es sind viele Gaben, aber es ist ein Geist. Und: Wir sind durch einen Geist in einen Leib getauft. Auch das sagt der Apostel Paulus und betont es immer wieder. Nicht als Bild gegen Vielfalt und Unterschiedlichkeit, sondern gegen Abgrenzung, Wichigtuerei, Hochmut und Trennung. Die gab es schon von Anfang an, so sieht es aus. Und getrennt erleben wir uns in vielem bis heute. Zwischen den Konfessionen, auch innerhalb der Konfessionen. Und innerhalb der Gesellschaft. „Wir sitzen alle an verschiedenen Tischen, und diese Tische sind auch noch verschieden groß“, so ist diese Installation auch gedeutet worden. Dass der Tisch vor der Frankfurter Katharinenkirche aus mehreren einzelnen Tischen besteht, ist ein sprechender Ausdruck dieser Situation.


Der Theologe Fulbert Steffensky hat einmal gesagt, dass die eigentliche Wirklichkeit, die dem einen Gott entsprechende, immer die Einheit sei. Die Trennungen, die Abgrenzungen, die Betonung der Unterschiede, in den Gemeinden, in den Kirchen, zwischen den Konfessionen, all das, seien die Illusionen, die wir Menschen uns machten. Dass diese Wirklichkeit weit größer ist wir Menschen, auch das ließe sich an dem übergroßen Tisch und den Stühlen „ablesen“. Aber wir können anfangen auf die Stühle zu klettern, auch wenn sie hoch sind. Und immer wieder versuchen, Wege zu Einheit zu gehen, zur Gemeinschaft, zur Überwindung von Trennung und Abgrenzung, zu einer Erfahrung dieser Wirklichkeit Gottes: In der Seiner Einheit die Einheit derer, die an ihn glauben, entspricht. Es sind verschiedene Kräfte, aber es ist ein Gott, der da wirkt alles in allen.

Dass uns die Stühle so hoch erscheinen, dass wir sie kaum erklimmen können, das liegt, denke ich, an einem fundamentalen Mißverständnis von Einheit. Solange wir denken, Einheit könne es nur geben, wenn wir alle zu allem die gleichen Glaubensaussagen haben, auf die gleiche Weise unseren Glauben leben, wird es vermutlich keine Einheit geben. Erst wenn wir verstehen, dass das eine menschengemachte Voraussetzung aus, dass von Gott aus nur eine einzige Voraussetzung besteht, um uns zusammenzubinden, dann werden wir auf die Stühle klettern können und die Tische zu einem zusammenschieben: Wenn der Geist uns als Band der Liebe, so sagt es Augustin, zusammenbindet, wenn wir einander in Liebe, in Achtung für die Unterschiedlichkeit und Vielfalt begegnen, einander nicht mehr Recht und Richtigkeit des jeweiligen Glaubens absprechen, das Wirken des Geistes in dem, den anderen erkennen und anerkennen wie in uns selbst, dann wird darin Einheit sein. Und wenn wir alle eingestehen, dass keine menschliche Gestalt von Glauben und Gemeinschaft je das Wirken des Geistes ganz und seiner Fülle repräsentieren kann; dass wir erst, wenn wir die Tische zusammenschieben, ahnen werden, wohin der Geist uns alle führen will. Und auch erst dann, wenn wir die Tische zusammenschieben, wird man uns wirklich glauben, dass es ein und derselbe Geist ist, ein und derselbe Herr, und ein und derselbe Gott, der da wirkt alles in allen. Amen

20. Februar 2021 · Kategorien: Andacht

Zwei Männer sitzen auf einer Veranda eines alten Hauses irgendwo in Iowa. Sie sind Brüder. Auf der Auffahrt zu dem Haus steht ein John-Deere-Aufsitzrasenmäher mit einem selbstgebauten, mit einer Plane überdachten Anhänger. “Bist du da drauf den ganzen Weg gefahren nur wegen mir?”, fragt der eine. “Ja, Lyle”, sagt der andere. Zehn Jahre haben sie kein Wort miteinander gesprochen; nun aber, als er hört, dass es seinem Bruder nicht gut geht, hat sich Alwin Straight auf den Weg zu ihm gemacht. Weil er nicht mehr gut sehen kann, nicht Auto fahren darf, zu seinem Bruder auch kein Bus fährt, auf seinem Aufsitzrasenmäher. Von Wisconsin nach Iowa, sechs Wochen braucht er für den Weg. Eine wahre Geschichte, berührend verfilmt in “The Straight Story” von 1999.

Bei einer der vielen Begegnungen auf seinem langen Weg wird Alwin gefragt, warum er diese Anstrengungen auf sich nimmt: Er erzählt vom engen Verhältnis der Brüder in ihrer Kindheit, vom Aufwachsen auf einer Farm Minnesota, vom gemeinsamen Erzählen und Träumen. Und dann eines Tages sind böse Worte zwischen ihnen gefallen. “Die Geschichte ist so alt wie die Bibel. Kain und Abel. Eitelkeit, Wut. Und wenn dann noch Alkohol dazu kommt, hat man zwei Brüder, die kein Wort miteinander reden seit vielen Jahren. Aber alles, was Lyle und mich so wütend gemacht hat, das spielt keine Rolle mehr. Ich will mit ihm Frieden schließen, ich will neben ihm sitzen und in den Himmel sehen. Genauso wie in alten Zeiten.” Und so kommt es, dass die zwei Männer auf Lyles Veranda sitzen. Einer hat sich auf den langen Weg gemacht, einer hat die Tür geöffnet; beide lassen hinter sich, was war. Kehren zurück in ihre alte Verbundenheit. Schließen Frieden miteinander.

Eine Geschichte von Versöhnung. Versöhnung ist “der Anfang, die Mitte und das Ende des gesamten Evangeliums”, so hat es der Franziskaner Richard Rohr gesagt. Bei dem Apostel Paulus heißt das so: “ Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit ihm selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung.” Versöhnung zwischen Gott und uns Menschen, das ist Sein Geschenk an uns. Wie mit allen Geschenken ist es aber auch mit diesem: Es bekommt nur eine Bedeutung für mich, wenn ich es annehme. Das Geschenk der Versöhnung anzunehmen heißt zu glauben, dass Gott mit mir verbunden sein, mit mir im Frieden sein möchte. Und es heißt, selbst als Versöhnte Versöhnung zu leben, weiterzugeben. Paulus nennt das den “Dienst der Versöhnung”. Er ist uns aufgetragen. Grundsätzlich – und dann, wenn die Gräben in der Gesellschaft, zwischen Menschen tiefer werden, erst recht. Wenn von uns Versöhnung ausgeht, dann entsprechen wir dem, was uns geschenkt ist von Gott. Und tragen sein Geschenk mit in unsere Welt hinein.


Wie unsere Geschichten von Versöhnung aussehen, wird sehr verschieden sein. Ob wir einen Streit beilegen, Frieden schließen mit dem, mit dem wir Jahre kein Wort gewechselt haben, ob wir vermittelnde Worte finden in einem Konflikt, in der Familie, am Arbeitsplatz, ob wir bereit sind, etwas, was uns angetan wurde, nicht mehr aufzurechnen, mit jemandem nicht mehr abrechnen zu wollen, ob wir um Entschuldigung bitten oder Menschen an einen Tisch laden, die sonst nichts miteinander zu tun haben wollen.


Versöhnliche Schritte, auch das wissen wir meist gut aus Erfahrung, sind nicht immer leicht zu gehen – selbst wenn wir nicht Hunderte von Kilometern auf einem Aufsitzrasenmäher von John Deere zurücklegen müssen -. Aber jeder Schritt, und erschiene er uns noch so klein, macht einen Unterschied. Jeder und jede von uns macht einen Unterschied, wenn wir den Weg zum anderen einschlagen, die Hand ausstrecken, das “Wort von der Versöhnung”, das Gott uns zugesagt hat, weitersagen. Auf dass hier und da und dort, wo das geschieht, die Welt ein klein wenig friedvoller und versöhnter wird. Auf der Veranda eines alten Hauses in Iowa oder hier bei uns in Itzehoe oder ganz woanders auf unserem Planeten.
Amen

12. Januar 2021 · Kategorien: Andacht

An den langen Abenden in Corona-Zeiten schaue ich mir Filme an, die die ich lange nicht gesehen habe. Auch dieser gehört dazu: “Und täglich grüßt das Murmeltier” aus dem Jahr 1993. Bill Murray spielt einen unfrohen Fernsehjournalisten, Phil Connors. Er soll in einem kleinen amerikanischen Städtchen von einem Winter-Volksfest berichten, in dem ein Murmeltier “nach alter Legende” voraussagt, wie lange der Winter noch dauert. Unfreundlich und zynisch geht er mit den Menschen in dem Städtchen um, zeigt in seiner Moderation seine Herablassung dem Fest und den Menschen gegenüber und will danach nur, so schnell es geht, weg. Aber er bleibt in einer Zeitschleife stecken, erlebt Tag für Tag denselben einen Tag des Festes wieder. Alle Versuche, aus der Zeitschleife herauszufinden, mißlingen. Bis er beginnt, sich zu wandeln. Hilfsbereit wird, freundlich, bis er tatsächlich Empathie entwickelt, Gefühle wahrnimmt, Freude, aber auch Traurigkeit, bis er wirklich Liebe spürt. Die Befreiung, die Erlösung geschieht durch die innere Veränderung, durch Umkehr zu Barmherzigkeit und Liebe.

Jesus sagt zu dem reichen Jüngling, der ihn nach dem höchsten Gebot fragt, “Tu das, und du wirst leben” (Lukas 10,28) Gemeint ist die Liebe, die zu Gott, die zum Nächsten und auch die zu sich selbst, also die Liebe in allen ihren Teilen. Der Liebe gilt die Verheißung des Lebens. Nichts weniger. Und genauso fordert Jesus uns zur Barmherzigkeit auf: “Seid barmherzig, wie euer Vater im Himmel barmherzig ist” (Lukas 6,36), so heißt es in der Jahreslosung für 2021. Auch der Barmherzigkeit gilt die Verheißung des Lebens mit all dem, was es wirklich ausmacht: Vergebung, Frieden, Glück. Bemerkenswert ist, dass Jesus uns zu Liebe und Barmherzigkeit auffordert, weil Er es uns tatsächlich zutraut, dass wir uns verändern können. Der Feigenbaum, der keine Früchte getragen, bekommt eine neue Chance von ihm; Umkehr und Wandlung sind möglich. Eine Veränderung zu einem Leben im wahrhaftigen Sinne, einem Leben, das zum Leben hilft, anderen Menschen, anderen Lebewesen, damit zuletzt auch mir.

Wir erleben keine Zeitschleifen, das vermute ich zumindest, aber feststecken in dem, was unser Leben bedrückt, tun die meisten von uns auch. In Ängsten und Sorgen um Gesundheit und Zukunft, der unserer Eltern und der unserer Kinder und Enkel, in allen Nöten, die die Corona-Pandemie hervorgerufen oder auch nur an die Oberfläche gebracht hat. Für manch einen mag es sich sogar wie eine Zeitschleife anfühlen, wenn an jedem Morgen die Sorgen wieder warten. Vieles können wir nicht ändern an der Situation, erleben uns als hilflos. Aber in einem wesentlichen Punkt sind wir es nicht. Denn wir können uns verändern. Genau betrachtet können wir überhaupt nur uns verändern. Und wie wir das tun, ob zur Liebe und zur Barmherzigkeit, das ändert dann viel, mehr auf jeden Fall, als wir es oft denken.

Pastorin Dr. Wiebke Bähnk

08. Januar 2021 · Kategorien: Andacht

Seit Tagen geht mir dieser kurze Satz im Kopf herum: “Das Wir gewinnt.” Es ist der Slogan der “Aktion Mensch”. Heute leihe ich ihn mir einmal, weil er so schön kurz und knapp auf den Punkt bringt, worum es in diesen Tagen geht. Schon vor Wochen sagte ein Epidemiologe vom Braunschweiger Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, Michael Meyer-Hermann, es gäbe eine entscheidende Voraussetzung für die Eindämmung der Pandemie: eine Kultur der Rücksicht aufeinander. Das bedeutet, dass nicht das Ich im Zentrum der Wahrnehmung steht und die jeweilig persönlichen Entscheidungen prägt, sondern das Wir, die Gemeinschaft, die Gesellschaft; diejenige unseres Landes, aber auch weit darüber hinaus.

Nach einer langen Phase, in der wir es gewöhnt waren, dass wir nahezu unbegrenzte persönliche Freiheiten haben, die Möglichkeiten jedes Einzelnen im Zentrum standen, lernen wir jetzt nachdrücklich und „auf die harte Weise“, dass und wie unser jeweiliges Verhalten Konsequenzen für die Gemeinschaft hat. Wie ich mich in der Impffrage entscheide, hat eben nicht nur für mich Bedeutung. Und mein Verhalten im Alltag auch nicht. Diese Erkenntnis ist nicht neu, die Klimakrise, die weltweite Ernährungsproblematik, das Artensterben, alle ökologischen Probleme zeigen uns, dass – um es so umfassend zu sagen – letztlich alles mit allem zusammenhängt. Und wir hängen auch mit allem und allen zusammen und mitten drin.

In bezug auf die christliche Gemeinschaft hat der Apostel Paulus für diese geradezu organische Zusammengehörigkeit das Bild vom Leib und seinen vielen Gliedern verwendet. Wir alle sind Glieder an einem Leib , “wir sind durch einen Geist alle zu einem Leib getauft” (1. Korinther 12,13), heißt es bei ihm. Und wie wir als ganze Personen leiden, wenn uns auch nur ein Körperteil schmerzt, so geht es auch diesem Gemeinschafts-Leib: “Wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit”. Aber auch umgekehrt: Das Wohlbefinden eines Körperteils überträgt sich auf den ganzen Leib, die Freude, das Wohlverhalten einer Person überträgt sich auf die Gemeinschaft.

Auch wenn es uns vielleicht weniger bewusst ist, die letztlich untrennbare Verbundenheit, die dieses Bild vom Leib ausdrückt, trifft nicht weniger auf unsere menschliche Gemeinschaft insgesamt zu. Verantwortlichkeit füreinander, Rücksicht, Achtung sind eigentlich selbstverständliche Konsequenzen aus der Wahrnehmung tiefer menschlicher Verbundenheit. Und wo diese Wahrnehmung schwer fällt, bleibt zumindest noch die Erkenntnis einer erheblichen Abhängigkeit voneinander.

“Das Wir gewinnt.” Und zwar nur das “Wir”. Das “Ich” allein hat schon verloren. Ob wir es wahrhaben wollen oder nicht. Dazu zuletzt ein “Gebet” der Dichterin Mascha Kaléko:
Es wohnen drei in meinem Haus –
Das Ich, das Mich, das Mein.
Und will von draußen wer herein,
So stoßen Ich und Mich und Mein
ihn grob zur Tür hinaus.

Stockfinster ist es in dem Haus,
Trüb flackert Kerzenschein. –
Herr: lass dein Sonnenlicht herein!
Dann geht dem Ich, dem Mich, dem Mein
Das fahle Flämmchen aus.

Pastorin Dr. Wiebke Bähnk

29. Dezember 2020 · Kategorien: Andacht

Hoffnungen und Ängste, Zuversicht und Unsicherheit, Egoismus und tiefe Mitmenschlichkeit, Erschöpfung und neuer Mut – die Gefühle und Erfahrungen in diesem Jahr und zum Jahreswechsel sind so unterschiedlich, wie sie es wohl stärker kaum sein könnten, manch einer erlebt eine „Achterbahnfahrt“ zwischen Bangen und Hoffen, manch eine spürt vor allem Bedrückung und Ängstlichkeit, andere wiederum richten sich ínnerlich aus an den hoffnungsspendenden Entwicklungen, besonders im Blick auf die Impfungen, nicht wenige erleben Einsamkeit, Traurigkeit und Trauer um einen Verstorbenen.

Als die Jünger nach dem Tod Jesu Christi am Kreuz von Jerusalem in ihr Dorf Emmaus zurückgehen, sind sie traurig, ratlos, verängstigt; unerkannt geht der Auferstandene an ihrer Seite, begleitet sie, hört ihnen zu, spricht mit ihnen. Und am Ende ihres Weges sagen sie zu ihm: Bleibe bei uns, Herr, denn es will Abend werden und der Tag hat sich geneigt. (Lukas 24,29) Das ist Ausdruck ihrer Gastfreundschaft, die den unerkannten Begleiter nicht allein in der Nacht weitergehen, nicht ohne Dach und Speise am Abend lässt. Das ist aber zugleich auch die Bitte all der Menschen, die sich nach Halt in angstvollen Zeiten, nach Begleitung in Traurigkeit, Unsicherheit und Ratlosigkeit sehnen, dann, wenn es dunkel wird und ist um uns und in uns.

Bleib bei mir, das bitten wir die Menschen, die uns nahe und vertraut sind. Bleib bei mir, das werden wir gebeten von ihnen. Ein großes Geschenk ist es, wenn wir ganz und gar leiblich bleiben können, für einen Erschöpften den Alltag besorgen, etwas kochen und die Lieblingsmusik auflegen, für eine Kranke sorgen, einem Sterbenden die Hand halten. Bitter ist es und traurig, wenn wir das nicht können, wie es in diesen Tagen allzuoft geschieht. Bleibe bei uns, das bitten wir Jesus Christus, denn die Nacht ist lang und noch nicht vorbei. Ein altes Gebet in unserem Gesangbuch nimmt diese Worte auf: Bleibe bei uns, Herr, denn es will Abend werden und der Tag hat sich geneigt. Bleibe bei uns und bei deiner ganzen Kirche. Bleibe bei uns am Abend des Tages, am Abend des Lebens, am Abend der Welt. Bleibe bei uns mit deiner Gnade und Güte, mit deinem heilgen Wort und Sakrament, mit deinem Trost und Segen. Bleibe bei uns, wenn über uns kommt die Nacht der Trübsal und Angst, die Nacht des Zweifels und der Anfechtung, die Nacht des bitteren Todes. Bleibe bei uns und allen deinen Gläubigen in Zeit und Ewigkeit. Amen (EG 854)

Unzählige Menschen vor uns haben diese Worte gebetet. Sie sind von ihrer Angst, ihrer Not, ihrer Traurigkeit, mit der sie gebetet wurden, durchzogen und durchtränkt. Aber auch von dem Trost, dem Halt, der Hoffnung, die aus dem Gebet erwuchsen, aus der Bitte um das „Bleiben“ Jesu Christi mitten in allem Schweren und Ungelösten, aus der Erfahrung Seiner Gegenwart, wie sie auch die Emmaus-Jünger machen. Wir können uns diese Worte leihen und mit ihnen bitten: Bleibe bei uns, Herr, bleib bei mir. Und es kann geschehen, daß wir dann auch an dem Trost teilhaben, am Halt und der Hoffnung. Die aus der Gewißheit erwächst, daß Er diese Bitte schon erfüllt hat, vor langer Zeit, und sie sie in jedem Moment aufs Neue erfüllt für uns, für dich und mich, in dem wir Seine Worte hören und fest ins Herz nehmen: Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende. (Matthäus 28,20)

Pastorin Dr. Wiebke Bähnk

24. Dezember 2020 · Kategorien: Andacht


Liebe Weihnachtsgemeinde,

Wo ist Gott, in all dieser Not?
Drei Jahre mag es her sein. Nach dem Nachtgottesdienst am Heiligabend kommt ein Mann zu mir hier in den Altarraum von St. Laurentii. Er erzählt mir von seiner Frau, die in dem Jahr gestorben ist nach langer Krankheit, von seinen beruflichen Problemen und Existenzsorgen. Und dann fragt er – mich und wie es aussieht auch sich selbst: Wo ist nun Gott in all dem? Sein Blick fällt auf die Krippe. Nachdenklich sagt er: Vielleicht ist er ja genau da, wo Menschen nicht mehr viel haben, was ihnen bleibt.

Weihnachten ist Tradition und Erinnerung, wisst Ihr noch vom vorigen Jahr, wie’s am Heil’gen Abend war. Weihnachten ist Duft nach Tannengrün und Lebkuchen, ist der Geschmack des Weihnachtsessens, Weihnachten ist Familie, größer oder kleiner, Weihnachten ist Musik, ist Erzählung. Ein vertrauter Rahmen. In diesem Jahr fehlt vieles von diesem Rahmen. Das schmerzt einfach. Aber es kann auch sein, dass wir in diesem Jahr einmal anders auf das Bild schauen, das in diesen Rahmen gehört. Das Bild der Weihnacht, das uns in aller Schlichtheit zeigt, wie Gott in die Welt kommt, wo er ist.

Gott kommt als Neugeborenes. Und Maria gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge. Das ist uns so vertraut, wir sehen sofort das Idyll des Stalles mit der Krippe vor uns – da liegt es, das Kindlein auf Heu und auf Stroh, Maria und Joseph betrachten es froh -, dass wir verlernt haben, das Herausfordernde, ja geradezu alle Gottesbilder Umstürzende darin noch zu erkennen. Wer einmal ein Neugeborenes gesehen, auf dem Arm gehabt, für es gesorgt hat, weiß, dass es ganz und gar bedürftig, angewiesen, ohnmächtig ist. Neugeborenes Leben ist in höchstem Maße verletzlich, gefährdet auch, wird es leben? – unter den bedrängenden Umständen einer solchen Geburt unterwegs erst recht. Damals im Stall und heute noch immer tausendfach. Und genau diese Weise wählt Gott, um zu uns Menschen zu kommen.

Wo ist Gott? Seltsamerweise empfinden wir das als wenig weihnachtliche Frage. Dabei gibt die Geburt des Gottessohnes genau darauf eine Antwort: Gott ist dort, wo wir uns als ohnmächtig erfahren, als bedürftig und gefährdet, als zutiefst verletzlich, an den Grenzen des Lebens. Er ist in der Krippe im Stall, er ist auf den Wegen der Millionen Flüchtenden in aller Welt, er ist auf den Krankenstationen, dort, wo Menschen um ihr Leben kämpfen, an den Sterbebetten, er ist in den Familien, wo getrauert wird, er ist bei den erschöpften Medizinern und Pflegekräften, er ist in den schlaflosen Nächten derer, die nicht wissen, was morgen wird, bei den Einsamen, Ratlosen und Ängstlichen. Bei jedem von uns, der sich auf welche Weise auch immer am Rand des Lebens vorfindet. Auch wenn wir es nicht immer so erfahren, vielleicht sogar sehr oft nicht. Gott ist genau dort. Davon erzählt die Geburt des Gotteskindes im Stall.

Wo ist Gott? Noch eine zweite Antwort gibt die Geburt des Gottessohnes, und die ist nicht weniger wichtig. Gott kommt als neugeborenes Kind. Jedes Kind trägt die Verheißung auf Zukunft in diese Welt. Auf die eigene und auch auf die der Menschen, die zu diesem Kind gehören, der Eltern, Großeltern, Geschwister. Mit jedem Kind beginnt etwas Neues in dieser Welt, wird ein neuer Anfang gesetzt. Dass Gott gewählt hat, auf diese Weise zu uns zu kommen, heißt: Er ist da, wo wir über den Tag und seine Not und Angst hinausschauen und eine Verheißung auf Zukunft hören, wo sich uns Hoffnung auf neues Leben eröffnet. Oder vielleicht ist das noch zu wenig gesagt: Dass Gott wählt, seinen Sohn als Kind in die Welt zu schicken, heißt, dass Er selbst, dieser Sohn, Jesus Christus, der neue Anfang, das Leben und die Zukunft für uns ist. Sie kann sich uns eröffnen, wenn wir Ihn suchen, in der Krippe und an allen anderen Orten, an denen Er auch ist. Wenn wir auf die Verheißung hören, die mit ihm in die Welt gekommen ist, die vom großen Frieden, dem Shalom für Mensch und Tier und alle Welt spricht, sie nicht abtun angesichts all des Zerbrochenen und Verwüsteten in unserer Welt, sondern uns immer weiter danach sehnen, dass er möglich ist. Wenn wir uns mit Hoffnung immer wieder wie mit einer neuen großen Kraft anstecken lassen. Die uns erfüllt, dass wir nicht müde werden, sondern mitten in der Angst und Not dieser Zeit aus dieser Kraft leben, neue Anfänge schaffen, Trost, Zuversicht und Hoffnung wachsen lassen – durch jede Hand, die wir reichen, jedes Wort, das Mut macht und stärkt, jede Hilfe, die wir geben, jede Rücksicht, die wir nehmen, durch jede Tat der Liebe, und mag sie uns noch so klein scheinen.

Eine Weihnacht, die uns, unsere Herzen und Hände, stärkt und uns neu hoffen lässt, uns mit Mut für Morgen und Übermorgen erfüllt. Eine Weihnacht, die uns ahnen lässt, wo Gott ist, in all der Not. Eine Weihnacht, die uns erinnert daran und gewiss macht, dass das Kind in der Krippe, Jesus Christus, der Immanuel ist, der Gott mit uns. Gestern, heute und alle Tage bis an der Welt Ende. Und in diesen Tagen kein bißchen weniger. Möge es so sein für uns alle, wo auch immer wir jetzt sind. Amen

Pastorin Dr. Wiebke Bähnk

24. Dezember 2020 · Kategorien: Andacht

Wer mag, zündet die Kerzen am Tannenbaum oder eine andere Kerze an.

Wir hören die Worte des Engels an die Hirten:
Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. (Lukas-Evangelium 2,10)

Gebet
Barmherziger Gott und Vater,
die Botschaft des Engels an die Hirten klingt aus der Heiligen Nacht zu uns herüber. Wir hören sie in unserer Angst um Menschen, die uns nahe sind,
wir hören sie in der Trauer um Verstorbene,
wir hören sie in Einsamkeit und unseren Sorgen um die Zukunft.
Wir hören sie im Dunkel unserer Tage.
Wir bitten dich:
Öffne unsere Ohren und unsere Herzen, dass wir die Worte Deines Engels hören und sie uns gewiss machen:
Dein Sohn ist geboren, das Licht der Welt zu sein, das die Finsternis erhellt. Dein Sohn ist geboren, Jesus Christus, Er kommt uns nahe, ist und bleibt bei uns. Wo auch immer wir sind, wie auch immer unser Leben gerade aussieht. Heute und alle Tage. Amen

Im Lukas-Evangelium im 2. Kapitel (Verse 1-20) lesen wir:
Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. Und diese Schätzung war die allererste und geschah zur Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war. Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeglicher in seine Stadt. Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das judäische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, darum dass er von dem Hause und Geschlechte Davids war, auf dass er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe; die war schwanger. Und als sie daselbst waren, kam die Zeit, dass sie gebären sollte. Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge. Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde. Und des Herrn Engel trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr. Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen. Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens. Und da die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander: Lasst uns nun gehen gen Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat. Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Josef, dazu das Kind in der Krippe liegen. Da sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, welches zu ihnen von diesem Kinde gesagt war. Und alle, vor die es kam, wunderten sich über die Rede, die ihnen die Hirten gesagt hatten. Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen. Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war.

Fürbittgebet
Unser Gott, Vater aller,
Dein Sohn ist geboren, als Kind liegt Er in der Krippe:
Wir bitten dich für alle Kinder, hier in unserer Stadt und überall auf der Welt: Schütze sie vor Gewalt, lass uns alle mit einstehen für ihre Rechte auf Unversehrtheit, körperlich und seelisch, auf Zukunft und Hoffnung, sie in Liebe begleiten.

Dein Sohn ist geboren, uns das Licht der Welt zu sein.
Wir bitten dich für alle Kranken, für die, die um ihr Leben kämpfen.
Für die Menschen, die an Sterbebetten sitzen, für alle Trauernden.
Für die, die einsam sind und verlassen.
Erhelle ihr Dunkel durch Dein Licht.

Dein Sohn ist geboren, der Heiland der Welt zu sein.
Wir bitten dich für alle Ängstlichen und Furchtsamen.
Für die, die um ihre Zukunft fürchten, die die Existenzsorgen um den Schlaf bringen.
Für die, die erschöpft und müde sind. In den Krankenhäusern, auf den Intensivstationen, in den Pflegeheimen, in Schulen und Kindergärten, in den Familien.
Tröste sie, schenk ihnen neuen Mut. Und stärke uns, dass wir, wo wir nur können, uns den Menschen zuwenden, die uns brauchen, Hilflosen helfen, Niedergedrückte aufrichten, Brücken bauen und versöhnen, wo es Not tut, von Deinem Heil und Deiner Kraft weitergeben.
Dein Sohn ist geboren, der Friedefürst zu sein.

Wir bitten dich für den Frieden, der an vielen Orten so bedroht ist. Hilf uns, immer wieder unsere Schritte auf die Wege des Friedens zu lenken, zu versöhnen und auszugleichen, wo Trennungen in der Gesellschaft bei uns aufbrechen, stärke uns in unserer Sehnsucht nach dem Frieden. Wir bitten dich für alle, deren Sinn und Geist so von Unfrieden beherrscht sind, dass sie Gewalt und Terror in alle Welt tragen. Lass deinen Frieden stärker sein.

Unser Gott, in der Stille bringen wir vor Dich, was auf unseren Herzen liegt.

Gemeinsam mit Christinnen und Christen in aller Welt beten wir:
Vater Unser im Himmel
Geheiligt werde dein Name
Dein Reich komme
Dein Wille geschehe
wie im Himmel so auf Erden
Unser tägliches Brot gib uns heute
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unseren Schuldigern
Und führe uns nicht in Versuchung
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich und die Kraft
und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen

Dieser Segen wird uns Menschen seit über 2000 Jahren zugesprochen. Er sagt uns zu, dass Gott bei uns ist alle Tage:

Gott segne dich und behüte dich;
Gott lasse Sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig;
Gott erhebe Sein Angesicht auf dich und schenke dir Seinen Frieden. Amen

Und zum Abschluss ein Wunsch für Sie, für uns alle:

Sagt es leise weiter;
sagt allen, die sich fürchten,
sagt leise zu ihnen:
Fürchtet euch nicht,
habt keine Angst mehr,
Gott ist da.
Er kam unsere Welt,
einfach, arm, menschlich.
Sucht ihn,
macht euch auf den Weg!
Sucht ihn dort, wo ihr arm seid,
wo ihr traurig seid und Angst habt.
Da hat er sich verborgen,
da werdet ihr ihn finden,
wie einen Lichtschein im dunklen Gestrüpp,
wie eine tröstende Hand,
wie eine Stimme, die leise sagt:
Fürchte dich nicht.

18. Dezember 2020 · Kategorien: Andacht

“Freude”. In goldenen Buchstaben auf weinrotem Hintergrund leuchtet mir das Wort entgegen – auf einem Buch, das ich als Geschenk gekauft habe. Für wen, verrate ich nicht. Nachher liest er oder sie diese „Gedanken zum Tag“, und dann ist die Überraschung dahin. Aber “Freude”? Ein wenig seltsam und unpassend mutet dieses Wort schon an in diesen Tagen. Bedeckt und müde ist die Stimmung in dieser Adventszeit, von Sorgen und Ängsten bestimmt.
Ich nehme mir vor, gerade deshalb noch bewusster darauf zu achten, wo es Gründe zur Freude für mich gibt. Das Video von unseren Enkelkindern in einer Badewanne voller Schaum, das unsere Tochter uns schickt. Die lebhafte Schar von Blaumeisen, Kohlmeisen und Kleibern, die unser Futterhaus auf dem Balkon plündern. Die Nachricht in der Zeitung, dass die Spendenbereitschaft in Deutschland auch in diesem Jahr nicht gesunken ist. Und noch etliches mehr. Vielleicht schreibe ich mir einfach mal ein paar Freudenmomente auf? Damit ich sie nicht vergesse in diesen Tagen.
Das Wort “Freude” klingt auch aus der Heiligen Nacht zu uns herüber. Der Engel, der den Hirten die Geburt des Gotteskindes verkündet, fasst seine Verkündigung mit diesem einen Wort zusammen: “Fürchtet euch nicht, siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird, denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.” (Lukas 2,10) Es mag sein, dass diese Freudenbotschaft es in diesen Zeiten schwer hat, die Ohren und Herzen zu erreichen. Oder ist es nicht genau umgekehrt? Dass uns bewusst wird, dass das Wort von der Freude über das Kommen Gottes in unsere Welt schon damals zu denen gesprochen wurde, deren Leben sonst eher arm an Freuden war. Dass der, der da geboren wird in unwirtlicher Umgebung, gleich danach auf die Flucht gehen muss, der ist, der als Erwachsener zu den Armen, Traurigen und Zerschlagenen, den Mühseligen und Beladenen geht, ihnen die freudige und frohe Botschaft von der Nähe Gottes bringt. Dass Dunkelheit, ob nun in uns oder um uns, das Licht, das vom Kommen Gottes in diese Welt ausgeht, erst richtig erkennen lässt. Dass wir in angstvollen Zeiten erst recht wahrnehmen können, was es heißt, dass das Kind in der Krippe der Immanuel ist, der Gott mit uns alle Tage unseres Lebens. Auch diese, die uns so schwer fallen.
Paul Gerhardt hat die Freude über das Kommen Gottes in besonders schwerer Zeit, kurz nach dem dreißigjährigen Krieg, wunderbar in Worte gefasst:
“Was hast du unterlassen zu meinem Trost und Freud
als Leib und Seele saßen in ihrem größten Leid.
Als mir das Reich genommen, da Fried und Freude lacht,
da bist du, mein Heil, kommen und hast mich froh gemacht.”
“Freude”. Passt also doch, das Wort. Wie gut.

Pastorin Dr. Wiebke Bähnk

09. Dezember 2020 · Kategorien: Andacht

Als Kind war mein Lieblingsadventslied „Morgen, Kinder, wird’s was geben“. Meine Mutter sang es mit mir und abgesehen von dem „geschmückten Kronensaal“, der meine Phantasie besonders anregte, mochte ich besonders die Zeile, in der es heißt: „Zehnmal werden wir noch wach, heissa, dann ist Weihnachtstag“, oder eben dreizehnmal oder viermal. Bei den zweisilbigen Zahlen lässt sich das nicht wirklich gut singen, aber ich hatte beim Singen immer das beruhigende Gefühl, daß die Zeit bis zum ersehnten Tag überschaubar ist, sie sich langsam „herunterzählt“. Das Warten machte mir das schon ein klein wenig leichter, daß es eine Antwort auf die Frage „Wie lange noch?“ gab.

Genau diese Antwort fehlt uns im Moment. Nicht in bezug auf Heiligabend; der ist verläßlich am 24. Dezember. Mit und ohne Corona. Aber wie lange wird es dauern, daß dass unser Leben nicht mehr von der Corona-Pandemie bestimmt ist, wir nicht mehr mit den Ängsten, Sorgen und tiefgreifenden Einschränkungen unseres Lebens leben müssen? „Wir sehen das Licht am Ende des Tunnels”. So sagte es der Vorsitzende des Weltärztebundes Frank Ulrich Montgomery, als er sich Ende November zu den Entwicklungen im Bereich der Corona-Impfstoffe äußerte. “Wir wissen nur noch nicht, wie lang der Tunnel ist.”

Schon die ersten Christinnen und Christen kannten sich mit dem Warten aus und mit der Frage „Wie lange noch?“, war doch Jesus Christus nicht, wie sie es schon für die erste Generation der Gläubigen erhofft hatten, als Herrscher und Richter aller Welt zum Ende der Zeit wiedergekommen. Und da lautete das Gebot der Stunde: So seid nun geduldig, Schwestern und Brüder, bis zum Kommen des Herrn. (Jak 5,7) Leichter gesagt als getan, sicher schon damals.

Geduld ist die Kunst des langen Atems. Die Fähigkeit, auch Belastendes, Bedrängendes, Not und Leid auszuhalten, zugleich eigene Aggressionen, Wut und Zorn, Empörung im Zaum zu halten. Dabei aber nicht resignativ die Hände in den Schoß zu legen, sondern bedacht und in Ruhe zu unterscheiden, was gerade seine Zeit hat und was nicht, was ich tun kann und muss und was ich lassen, überlassen muss. Beide Fähigkeiten scheinen mir in dieser Zeit wichtiger denn je zu sein.

Geduld ist sicher eine Übungssache. Zumindest für den, der nicht schon von Natur aus ein gesundes Phlegma hat. Geduld ist eben aber auch eine Gabe des Heiligen Geistes, um die wir alle Tage bitten können. Geduld wächst aus der Liebe, die Gott selbst ist und mit der Er uns erfüllt, wenn wir uns für sie öffnen. Geduld erwächst auch aus dem Vertrauen, daß Gott selbst uns genau so anschaut, geduldig und voller Güte (Psalm 145,8). Wenn wir geduldig sind – mit uns, mit anderen Menschen, auch mit den Ungeduldigen -, dann spiegelt sich darin all das von Gott wider. Dann zeigen sich in einer Welt voller Ungeduld, in der wir das Warten verlernt und die Ruhe verloren haben, Seine Spuren. Und dafür brauchen wir tatsächlich nicht zu fragen „Wie lange noch?“, dafür brauchen wir nicht die Zeit herunterzuzählen. Denn das geschieht in jedem Moment. In Geduld.

Pastorin Dr. Wiebke Bähnk

22. November 2020 · Kategorien: Andacht

„Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen.“ Mehr als 1200 Jahre ist der gregorianische Choral alt, der mit diesen Worten beginnt: Media vita in morte sumus. Ausdruck des Wissen um unsere Vergänglichkeit und Sterblichkeit. Vielleicht ist uns dieses Wissen unter dem Eindruck der Pandemie bewusster noch geworden als in den vergangenen Jahren. Rainer Maria Rilke hat wunderschön-traurige Worte dafür gefunden:
“Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
sie fallen mit verneinender Gebärde.
… Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen.”
„Es ist in allen.“ Wir wissen um unsere Vergänglichkeit. Um die unserer Mütter und Väter, Partnerinnen und Partner, unserer Geschwister, unserer Freunde. Um unsere eigene. Ja, sogar um die unserer Kinder. Und doch: Was der Kopf weiß, kann das Herz nur schwer fassen. Um dieses Wissen auszuhalten, mehr noch um die Erfahrung der Vergänglichkeit bei denen, die wir lieben, und bei uns auszuhalten, braucht es Hilfe, braucht es Halt und Trost.
Rilke hat diesen Trost in zwei wunderschöne Zeilen gefasst:
“Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.”

Einer ist da, der all unser Fallen, all unser Sterben und Vergehen und auch all das, was dann für uns kommt, in seinen Händen hält. Der uns in seinen Händen hält. Sie ergreift und uns dorthin leitet, wo uns nichts, aber auch gar nichts mehr von ihm und seiner Liebe trennen kann und wir auf ewig geborgen sind bei ihm. Mit dem 139. Psalm können wir diese Zuversicht im Gebet ausdrücken: Mein Gott, von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über. Führe ich gen Himmel, so bist du da, und bettete ich mich bei den Toten, siehe, so bist du auch da. Und nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich halten und deinen Rechte mich führen. Und Jesus Christus, der uns ein für allemal gezeigt hat, daß nach dem Tod Leben auf uns wartet, hat uns gesagt: Ich bin der gute Hirte… Und meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie und sie folgen mir; und ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen. (Joh 10,27f) Einer ist da. Und niemand wird uns aus Seiner Hand reißen. Auch der Tod nicht.

Pastorin Dr. Wiebke Bähnk