14. April 2020 · Kategorien: Andacht

„Andra tutto bene. Alles wird gut.“ Mit diesen Worten machen sich in diesen Tagen die Italiener Mut. Eine junge Frau schreibt mir: „Die Osterbotschaft dieses Jahr ist für mich, dass es immer weiter und wieder bergauf geht. Dass wir bis dahin zusammenhalten und füreinander da sind. Einfach, dass wir darauf vertrauen dürfen, dass alles wieder gut wird.“

Mit Ostern verbinden sich neue Hoffnung und Zuversicht. Darauf, dass Leid, Not und Tod nicht das letzte Wort haben. Nicht in unserem Leben, nicht in unserer Welt. Aber Ostern heißt nicht, es wird alles wieder wie vorher. Das war auch am ersten Ostertag der Welt nicht so: Der Auferstandene begegnet seinen Jüngerinnen und Jüngern nicht als wiederbelebter Toter. Keiner erkennt ihn an seiner äußeren Gestalt. Maria Magdalena, so wird es erzählt, hält ihn für den Gärtner. Auch die Emmausjünger wissen nicht, wer da schon kilometerweit neben ihnen geht. Und als sie ihn erkennen, lässt er sich nicht festhalten von ihnen, bleibt nicht leiblich bei ihnen.

Ostern ist nicht Wiederbelebung des Gewesenen. Ostern erzählt von Verwandlung. Von der Verwandlung Jesu. In den Christus, der als Auferstandener lebendig und gegenwärtig ist. Alle Tage bis an der Welt Ende, wie Er es verspricht. Unter uns. Nicht in der Gestalt, die Er hatte; in seinen Worten, die uns erreichen, in der Kraft seines Heiligen Geistes, die uns erfüllt, die uns ermutigt, stärkt und tröstet. Uns erkennen lässt, dass wir alle miteinander verbunden sind und in Verantwortung und Nächstenliebe aufeinander gewiesen. Und in der Hoffnung und Zuversicht, dass unsere Wege zuletzt zu einem guten Ziel führen.

Und so erzählt Ostern auch von unserer Verwandlung. Wir werden nicht wieder die, die wir vorher waren. Nicht jeder und jede von uns als einzelne. Und auch die Welt wird eine andere sein. Ostern bedeutet nicht, dass es einfach wieder so wird wie es einmal war. Das muss ja auch nicht unbedingt immer gut sein. Ostern bedeutet, dass es anders wird und neu. Wir anders und neu werden, uns verwandeln können. Nicht in Menschen, die gar keine Angst mehr haben, vor lauter Überschwang des Glaubens die reale Bedrohung nicht mehr wahrnehmen oder über das Leid, das wir sehen, hören, erleben, hinweggehen. Nein, das auf keinen Fall.

Ostern verwandelt uns in solche, die fest vertrauen dürfen, dass sie nicht allein sind, was auch immer geschieht, dass sie eine Kraft haben, die Christus selbst schenkt und die deshalb nie ausgeht. Ostern verwandelt uns in Menschen, die ganz und gar auf der Seite des Lebens stehen. Ein Theologe hat mal gesagt: Alle, die an den Auferstandenen glauben, sind dadurch “Protestleute gegen den Tod.” Vielleicht lässt sich es auch so ausdrücken: Alle, die aus dem Vertrauen auf den lebendigen Christus leben, sind “Liebhaber und Liebhaberinnen des Lebens.” In solche verwandelt uns Ostern. Und in die, die auch jetzt, wo Leid und Schmerz und Tod so mächtig sind, die Hoffnung bewahren, dass das Leben siegt. Und gegen alle Resignation, Lähmung, Traurigkeit und Furcht die Liebe zum Leben und allen Mut, der jetzt gebraucht wird, alle Hoffnung auch aus vollen Händen weitergeben. Denn sie hat den besten Grund. Der Herr ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden. Alles kann anders werden, neu und, ja, gut. Andra tutto bene.

Pastorin Dr. Wiebke Bähnk

Das Licht des Ostermorgens an St. Laurentii

Foto: Ahting/Glimm

10. April 2020 · Kategorien: Andacht

Sie nahmen Jesus aber, und er trug selber das Kreuz und ging hinaus zur Stätte, die da heißt Schädelstätte, auf hebräisch Golgatha. Dort kreuzigten sie ihn. (Joh 19,17f) In St. Laurentii hängt der Gekreuzigte an einem Kreuz hoch über dem Chorraum. Wer ihn ansieht, sieht das Leiden des Jesus von Nazareth, seinen auf die Brust gefallenen Kopf, sieht seine Hände und Füße auf das Kreuz genagelt, seine Wunden, seinen Schmerz. Wer ihn ansieht, kann aber auch die ungezählten Kreuze sehen, die Menschen einander errichtet haben und errichten, kann die Karfreitage ohne Zahl ahnen, in denen Menschen wie Jesus am Kreuz geschrien haben: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? (Mt 27,46) In diesem Schrei Jesu ist Er selbst allen unter uns Menschen nahe, deren Angst und Not übergroß ist. Auch jetzt in diesen Tagen, hier bei uns und in anderen Ländern, wo das Virus sich ungehemmt verbreitet, die Menschen in den Flüchtlingslagern, Townships, Elendsvierteln sich nicht schützen können, das Gesundheitswesen desolat ist und die Bevölkerung von autokratischen Politikern allein gelassen wird in ihrer Not.

Außer diesem Schrei Jesu sind uns noch sechs weitere seiner Worte am Kreuz in den Evangelien überliefert. Eines richtet er an zwei Menschen, die unter seinem Kreuz stehen, seine Mutter und den Jünger, der ihm besonders nahe war; Menschen, denen sein Leiden das Herz zerreißt. Zu Maria sagt Jesus: Frau, siehe, das ist dein Sohn! Danach spricht er zu dem Jünger: Siehe, das ist deine Mutter. (Joh 19,26) In all ihrer Angst und Not, in ihrer Verlassenheit weist er sie aufeinander, verbindet sie miteinander, übergibt sie einander in ihre Liebe und Verantwortung. Und auch uns, wenn wir unter seinem Kreuz stehen, weist er in die Verantwortung und Liebe füreinander.

„Im Sterben Jesu ist unser Leben verborgen“, hat Dietrich Bonhoeffer gesagt. Wie das zu verstehen und zu glauben ist, dafür braucht es wohl ein Leben lang – und auch die Einsicht, daß wir immer nur einen winzigen Teil von dem erfassen können, was in unserer Liturgie denn auch als „Geheimnis des Glaubens“ benannt wird: „Deinen Tod, o Herr, verkünden wir…“.

Jesu Worte am Kreuz sind Worte vom Leben für uns. In diesen Tagen hören wir das vielleicht besonders in dem Wort, das uns in die Gemeinschaft miteinander stellt. Aber eben nicht nur miteinander. Auch mit Ihm selbst. Im „Geheimnis des Glaubens“ heißt es weiter: „.. und deine Auferstehung preisen wir, bis Du kommst in Herrlichkeit.“ Das Kreuz in St. Laurentii ist ein sogenanntes Triumphkreuz, hoch oben über dem Altarraum. Wer es ansieht, sieht den Gekreuzigten zugleich schon als den, der aufersteht. Und der uns als Auferstandener, als lebendiger Christus, zusagt: Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende. (Mt 28,20)

Pastorin Dr. Wiebke Bähnk

09. April 2020 · Kategorien: Andacht

Heute ist Gründonnerstag. Wir denken an das letzte Mahl Jesu mit seinen Jüngern. Nach dem Abendmahl geht er hinaus in den Garten Gethsemane. Dort betet er: Vater, willst du, so nimm diesen Kelch von mir. (Lk 22,39-46) Es ist das Gebet aller Menschen, die Angst haben vor dem, was auf sie zukommt oder auf die, die ihnen nahe sind, die schweres Leid tragen. Wie viele Menschen mögen in diesen Tagen mit diesen oder ähnlichen Worten beten? Nimm den Kelch der Krankheit, des Sterbens, der unerträglichen Entscheidungen – welcher Patient wird versorgt und beatmet, welcher nicht? -, nimm den Kelch der Einsamkeit und Depression, der Angst vor Ansteckung in Seniorenheimen von uns, in Flüchtlingslagern, wo Menschen eng zusammen leben, sich nicht schützen können. In seinem Gebet ist Jesus uns Menschen nahe, zeigt er sich als der, der in allem seinen Geschwistern gleichgemacht wurde (Hebr 2,17). Als der, der unser Leid kennt, unsere Angst, unsere Not. Und durch ihn kennt auch Gott all das.

Dieses Wissen Gottes um uns, daß er uns und unsere Not kennt, ist nicht immer zu spüren. Manches Mal fühlen wir uns gott-verlassen. Und dann wiederum geschieht es, daß wir getröstet werden, spüren und erfahren, daß wir nicht verlassen sind. Auch Jesus erlebt das so: Es erschien ihm aber ein Engel vom Himmel und stärkte ihn, heißt es im Lukasevangelium. Auf einer Federzeichnung Rembrandts aus dem Jahr 1652 ist dieser Engel dargestellt. Zärtlich und behutsam legt er den Arm um Jesus. Kniet sich neben ihn. Sieht ihn an. Und Jesus legt seinen Kopf an die Schulter des Engels. Da, wo die Angst groß ist, ist Gott dennoch nicht fern, erweist sich auf die eine oder andere Weise als Gott allen Trostes. Das ist die Botschaft dieses Augenblicks. Auch wenn das in diesen Tagen sicher anders geschehen muss, als durch einen um die Schultern gelegten Arm.

Auf Rembrandts Zeichnung steht hinter dem Engel ein Kelch. Der Kelch, von dem Jesus bittet, daß er von ihm genommen werde; der Kelch, der an uns vorübergehen möge. Wenn Gott auf die eine oder andere Weise tröstet und stärkt, bedeutet das nicht selbstverständlich, daß der Kelch nicht mehr getrunken werden müsste. Der Theologie Dietrich Bonhoeffer hat gesagt: „An Jesus ist der Kelch vorübergegangen, indem er ihn geleert hat.“ Und zu uns hat er gesagt: „Gott hilft uns nicht am Leid vorbei, aber durch das Leid hindurch.“ Auch wenn wir es uns so sehr anders wünschten: Wir erleben, daß zu unserem Leben so mancher Kelch dazu gehört. Wir hören in diesen Tagen von unzähligen Kelchen. Ein Leben ohne ist uns nicht versprochen. Aber daß wir nicht von Gott verlassen sind beim Leeren der Kelche. Das ist uns wohl versprochen.

Pastorin Dr. Wiebke Bähnk

07. April 2020 · Kategorien: Andacht

„We’ll meet again“. Ihre Ansprache an die Briten gestern beendete die Queen mit diesen Worten. „Wir werden uns wieder treffen, wieder zusammen sein.“ Vorher hatte sie ausgemalt, wie es sein wird, wenn Familien, Freunde, Nachbarn wieder an einem Tisch zusammen sitzen, essen, feiern, sich ansehen, direkt miteinander sprechen können. An einem Tisch zu sitzen ist ein altes Bild für Gemeinschaft. Jesus Christus feiert mit seinen Jüngern das Passahmahl am Vorabend seiner Verhaftung, Verurteilung und Hinrichtung. Daran denken wir am Gründonnerstag. Und er kündigt an, daß es auch danach wieder eine Gemeinschaft an einem Tisch geben werde: Ich werde von nun an nicht mehr von diesem Gewächs des Weinstocks trinken bis an den Tag, an dem ich aufs Neue davon trinken werde mit euch in meines Vaters Reich. (Mt 26,28) Und viele seiner Jünger werden den Auferstandenen daran erkennen, daß er mit ihnen an einem Tisch sitzt und isst: Und es geschah, als Jesus mit ihnen [den Emmaus-Jüngern] zu Tisch saß, nahm er das Brot, dankte, brach’s und gab’s ihnen. Da wurden ihre Augen geöffnet und sie erkannten ihn. (Lk 24.30) In jedem Abendmahl vergegenwärtigen wir uns bis heute, daß Jesus Christus als Auferstandener mitten unter uns ist, uns als seine Gäste an seinen Tisch lädt.

Beides können wir nicht real erleben im Moment. Es gibt keine Tischgemeinschaft zwischen Verwandten, Freunden, Nachbarn, keine gemeinsamen Osterfrühstücke, keine Mittagessen in großer Runde. Das schmerzt einfach. Es gibt keine Gemeinschaft am Tisch des Herrn, kein Agapemahl am Gründonnerstag, keine Abendmahlsfeier am Ostersonntag. Alle unter uns, denen dieses sichtbare Zeichen der Gemeinschaft mit Jesus Christus, dem Gekreuzigten und Auferstandenen, für ihr Leben wesentlich ist, trifft das schwer. Für beides gibt es keinen wirklichen Ersatz. Es gibt nur die feste Hoffnung, daß wir wieder zusammen sein werden: am Tisch der Familie und Freunde und am Tisch Jesu Christi.

Weil Hoffnung aber auch „Nahrung“ braucht, können wir in der Wartezeit eines tun: Wie Jesus es gemacht hat einen Segen über das Brot und unsere Speisen sprechen, für sie danken und sie dann allein oder mit unseren Partnern oder Kindern essen. Und uns durch den Segen darin bestärken, daß der lebendige Christus auch jetzt bei uns ist. Wo wir nur darauf hoffen und darum bitten können, daß es wieder heißt: We meet now. Schmeckt und seht, wie freundlich der Herr ist. Kommt, es ist alles bereit.

Pastorin Dr. Wiebke Bähnk

04. April 2020 · Kategorien: Andacht

Fast jeden Tag teilen Verwandte, Freunde, Nachbarn und Kollegen Fotos, Texte und Videos über Whatsapp miteinander. Das gab es auch schon vor Corona. Jetzt ist es aber noch viel häufiger geworden. Der Wunsch ist groß, sich gegenseitig eine kleine Freude zu machen.Mit Bildern von den ersten Blüten und vom Frühjahrssonnenschein, vom neuerwachenden Leben in der Natur. Mit Videos von Musikaufnahmen, privat oder von Musikern im „Home-Office“, die die einzelnen Stimmen zusammen schneiden: „Flieg, Gedanke“ aus Verdis „Nabucco“, die „Ode an die Freude“ aus Beethovens 9. Sinfonie oder verschiedene Segenslieder, das vielgeliebte „Mögen sich die Wege vor deinen Füßen ebnen…“ – Musik, die von Freiheit singt, von Verbundenheit – „alle Menschen werden Brüder (oder Schwestern)“ -, von dem Wunsch nach Geborgenheit – „und bis wir uns wiedersehen, halte Gott dich fest in seiner schützenden Hand“. In den Bildern und Videos, die weitergegeben werden, drücken sich Sehnsüchte und Hoffnungen aus. Und die Suche nach dem, was wirklich trägt in dieser Zeit.

Vor einigen Tagen bekam ich ein Video, in dem ein Brief vorgelesen wird, den Albert Einstein an seine Tochter geschrieben haben soll. Ob er authentisch ist oder nicht (was wahrscheinlicher ist), scheint mir nicht so wichtig zu sein. Aber der darin ausgedrückte Gedanke, daß das, was unserem menschlichen Leben Sinn verleiht und uns „rettet“, die Liebe allein ist: Wenn wir wollen, daß unsere Art überleben soll,…, wenn wir die Welt und alle fühlenden Wesen, die sie bewohnen, retten wollen, ist die Liebe die einzige und letzte Antwort… Liebe ist die Quintessenz des Lebens, die in jedem und jeder von uns wohne und wirke. Im Epheserbrief heißt das so: Ihr seid in der Liebe eingewurzelt und gegründet. (Eph 3,17)

Wie gut, daß diese Bilder, Videos, die Musik und die Worte weitergegeben werden. Damit wir uns auch auf diese Weise gegenseitig immer wieder stärken können in dem, was trägt, bleibt und Mut für morgen macht. Und dafür brauchen wir auch nicht unbedingt Whatsapp: Vieles lässt sich auch im Gespräch am Telefon oder in einem Brief weitergeben und teilen.

Pastorin Dr. Wiebke Bähnk

02. April 2020 · Kategorien: Andacht

Viel Glück und viel Segen auf all deinen Wegen. Eben habe ich meinem Vater dieses Geburtstagslied vorgespielt. Am Telefon. Denn besuchen kann ich ihn ja nicht. Mein Vater feiert heute seinen 92. Geburtstag und alles ist so anders als in den vergangenen Jahren. Wir können nicht zusammen sein, uns nicht ansehen, gemeinsam lachen und vom Geburtstagskuchen naschen. Für ihn ist das schwer. Wie für unzählige Menschen, die jetzt in weitgehender Isolation leben müssen. In den Seniorenheimen, in Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen oder in ihren Wohnungen.

Auch mich als Tochter, als Angehörige bedrückt diese Situation sehr. Als tröstlich empfinde ich, mit wie viel Phantasie und Hilfsbereitschaft Menschen in diesen Tagen und Wochen Zeichen der Nähe und Verbundenheit weitergeben: regelmäßige Anrufe, Einkäufe, die wie selbstverständlich mit erledigt und vor die Tür gestellt werden, ein Blumengruß aus dem Garten, eine Karte mit freundlichen Worten, Musik, live und über verschiedene Medien weitergegeben und geteilt. Der Hausmeister des Seniorenheimes, in dem mein Vater lebt, hat ihm heute sein Lieblingsgetränk Radler besorgt, eine Pflegekraft hat ihm eine Videobotschaft von uns auf ihrem Handy vorgespielt und die Geburtstagskarte vorgelesen – er kann kaum noch sehen. Als ich das Telefon auflegte, hörte ich noch die freundlichen Glückwünsche einer Mitbewohnerin für ihn. Viel Glück und viel Segen.

Dass wir zwar räumlich getrennt sein müssen wie wir es noch nie erlebt haben, menschlich, sozial aber zusammen rücken, ist ein Eindruck, der in diesen Tagen oft geäußert wird. Daß wir unsere menschliche Verbundenheit auf eine neue und ungekannte Weise wahrnehmen, die Verantwortlichkeit, die wir füreinander haben. Daß wir das leben, was uns von Jesus Christus als höchstes Gebot unseres menschlichen Miteinanders gegeben ist: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. ( Mk 12,28) Diese Erfahrung tröstet und stärkt. Auch weil wir darauf vertrauen dürfen, daß die Nächstenliebe, wie alle Liebe, aus Gottes Kraft kommt, durch die Er in uns und durch uns wirkt. Und wir deshalb auch keine Angst zu haben brauchen, daß sie uns ausgehen könne, die Liebe.

Pastorin Dr. Wiebke Bähnk

01. April 2020 · Kategorien: Andacht

Wer durch die Timm-Kröger-Straße fährt, sieht ihn schon von weitem: den bunten Regenbogen, der mit Kreide an eine Hauswand gemalt ist. Auch in manche Fenster in Itzehoe haben Kinder farbenfroh gemalte Regenbogen geklebt. Wie in vielen anderen Städten in Deutschland und zuerst wohl in Italien und Spanien.

Ein Regenbogen erscheint, wenn es noch regnet, aber zugleich die Sonne schon wieder durch die Wolken bricht. Schon darin ein Hoffnungszeichen, daß jeder Regen, und sei er noch so heftig, irgendwann ein Ende hat. In der Bibel ist der Regenbogen das Zeichen, daß Gott es nach der Sintflut weiterhin mit der Menschheit zu tun haben will, daß er einen festen, unverbrüchlichen Bund mit uns schließt: Das ist das Zeichen des Bundes, den ich geschlossen habe, spricht Gott, zwischen mir und euch und allem lebendem Getier bei euch auf ewig: Meinen Bogen habe ich gesetzt in die Wolken, der soll das Zeichen sein des Bundes zwischen mir und der Erde. (1. Mose 9,12f) Wer den Regenbogen sieht, wird an das Versprechen Gottes, bei uns zu sein und zu bleiben, erinnert. Ein Versprechen, daß auch dann gilt, wenn wir uns wie in einer Sintflut fühlen. Und auch Gott will sich durch den Bogen immer wieder an sein Versprechen erinnern lassen: Und wenn es kommt, daß ich Wetterwolken über die Erde führe, so soll man meinen Bogen sehen in den Wolken. Alsdann will ich gedenken an meinen Bund zwischen mir und euch. (1. Mose 9,14f)

Angesichts der Zahlen der Erkrankten und der Verstorbenen, in Deutschland und noch viel mehr in anderen Ländern, angesichts des großen Leids, das das Virus über viele Familie bringt, wirken die Regenbögen in den Fenstern und an den Häuserwänden vielleicht ein wenig hilflos. Und dennoch: Wir brauchen solche Zeichen der Hoffnung. Und gerade dieses besonders. Erzählt es doch vom Sonnenschein nach dem Regen. Vom guten Ausgang der Dinge auch nach einer „Sintflut“. Und von dem unverbrüchlichen Versprechen Gottes an uns, mit uns verbunden zu sein und zu bleiben alle Tage auch durch Regen und „Sintflut“ hindurch.

Pastorin Dr. Wiebke Bähnk

31. März 2020 · Kategorien: Andacht

„Wir hoffen sehr, daß wir im Juli zusammen feiern können.“ Eben habe ich mit einem Traupaar am Telefon ihre Trauung besprochen. Nach vielen Tagen, in denen es in meinem Dienst nahezu ausschließlich um einen guten Umgang mit der aktuellen Situation jetzt gegangen ist, ein Blick über den Horizont. Keiner von uns weiß, ob die Trauung gefeiert werden kann. Aber die Hoffnung darauf tut gut. Ohne einen „Silberstreif“, ohne die Hoffnung auf ein Leben „danach“ und die Überwindung der durch die Pandemie verursachten Nöte können wir kaum mit den Bedrängnissen dieser Tage umgehen. Psychologen sagen, wir brauchen Bilder und Worte der Hoffnung, um seelisch standzuhalten.

Die Not der Corona-Krise trifft uns in der Zeit, die im Kirchenjahr durch die Erinnerung an die Passion Jesu Christi, an seinen Weg durch das Leiden und an das Kreuz, bestimmt ist. Als er mit seinen Jüngern darüber spricht, ihnen von seinem bevorstehenden Leid erzählt, erscheint es für sie unerträglich zu sein. Aber er kündet ihnen an, daß das, was ihm an Leiden bevorsteht, nicht das letzte sein wird, was geschieht. Auch ihre Angst wird nicht das letzte sein, was sie bestimmt: Ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen, so verspricht er es ihnen (Joh 16,22). Ob sie es verstanden haben, darauf vertrauen mochten, mitten in aller Angst und Unsicherheit?

Jeden Abend, wenn um 18.00 Uhr die Glocken in den Itzehoer Kirchen läuten, werden in den Kirchen die Osterkerzen angezündet. Obwohl wir noch in der Passionszeit sind. Als Zeichen des Vertrauens in die Erfüllung dieser Hoffnung. Von der wir Ostern hören: Daß Jesus Christus auferstanden ist, als erster von allen. Und für uns den Weg freimacht, daß auch wir auferstehen. Das geschieht nicht nur einst am Ende unserer Tage, sondern oft genug auch mitten im Leben: Wenn das Leben wieder erwacht, die Freude sich Bahn bricht. Wenn es wieder Feste gibt, Menschen sich in den Arm nehmen, Jung und Alt an einem Tisch sitzen, gemeinsam essen und trinken und die Liebe und das Leben feiern. Und von der Kraft dieser Hoffnung sagt der Apostel Paulus: Weil wir nun solche Hoffnung haben, sind wir voll Zuversicht. (2. Kor 3,12)

Pastorin Dr. Wiebke Bähnk

30. März 2020 · Kategorien: Andacht

„Moin Itzehoe – wir schaffen das – zusammen“. So steht es auf einem Schild im Schaufenster eines Geschäfts in der Kirchenstraße. „Wir schaffen das“ – ein Ausdruck der Zuversicht, die so wichtig ist in diesen Tagen. „Zusammen“ – ein Ausdruck des Wissens, daß wir es nur schaffen, wenn wir gemeinsam Verantwortung füreinander übernehmen. Wie verbunden und damit auch abhängig voneinander wir nicht nur in unserer Gesellschaft, sondern in der gesamten Welt sind, führt uns die Corona-Pandemie eindringlich vor.

Im 16. Jahrhundert schrieb der englische Dichter John Donne: Keiner ist eine Insel, in sich vollständig. Jeder ist ein Stück des Kontinents, ein Teil des Ganzen… Jedes Menschen Tod ist mein Verlust, denn ich bin ein Teil der Menschheit. Vor sechzig Jahren hat der christliche Mystiker Thomas Merton dieses Wort Keiner ist eine Insel über seine Betrachtungen zu der grundsätzlichen Zusammengehörigkeit und Verbundenheit aller Menschen gestellt. Das grundlegende Gesetz des menschlichen Daseins heißt für ihn: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. In der Liebe liegt die Macht, die tiefe Verbundenheit zwischen uns und allen anderen Menschen, nah oder fern, wahrzunehmen und ihr entsprechend zu leben. In ihr liegt die Kraft, das auszubilden, was wir jetzt brauchen: ein wahrhaft solidarisches Bewusstsein. Jeder andere Mensch ist ein Stück von mir, denn ich bin ein Teil der Menschheit. Jeder Christ ist ein Teil meines eigenen Leibes, denn wir sind Glieder Christi. Was ich tue, wird auch für sie, mit ihnen und durch sie getan. Was jene tun, wird in mir, durch mich und für mich getan. Aber jeder von uns bleibt verantwortlich für seinen Anteil am Leben des gesamten Leibes. (Thomas Merton)

„Wir schaffen das – zusammen.“ Im Wissen um die tiefe Verbundenheit aller Menschen, darum, daß das, was wir tun, was ich tue, unmittelbare Auswirkungen auf andere hat, in der Nähe und in aller Welt. Und aus der Kraft, die die größte unter allen Kräften ist: die Liebe. (1. Kor 13,13)

Pastorin Dr. Wiebke Bähnk

29. März 2020 · Kategorien: Andacht

Sehr unterschiedliche Gedanken sind es, die mich heute morgen beim ZDF-Fernsehgottesdienst bewegt haben. Zum einen aus tiefsten Herzen ein „Wie gut, daß es Fernsehgottesdienste gibt.“ Von älteren Gemeindegliedern, die nicht mehr gut laufen können und nicht immer jemanden haben, der sie zum Gottesdienst bei uns abholt, höre ich auch sonst öfter, wie sehr sie diese Gottesdienste trösten. Und in diesen Tagen, in denen erstmals seit Menschengedenken bei uns landauf landab keine öffentlichen Gottesdienste gefeiert werden dürfen, stellen sie die beste Möglichkeit dar, doch an einem Gottesdienst teilhaben zu können, ohne an einem Ort versammelt zu sein. Fast eine Million Menschen sehen diesen Gottesdienst im Moment. Hören auf die Lebensworte Gottes, singen mit, beten mit, machen die Gebetsanliegen anderer Menschen zu ihren eigenen. 675 Gebetsbitten sind während des Gottesdienstes beim ZDF eingegangen. Fast eine Million Menschen feiern „zusammen“, sprechen das Glaubensbekenntnis, beten das Vaterunser. Jeder, jede an ihrem Ort – und doch verbunden. Ich bin sicher, daß dieser Gedanke viele Menschen stärkt und tröstet – mich auch.

Aber es gibt neben diesem tröstenden Gedanken auch tiefe Traurigkeit in mir. Der Anblick der leeren Kirche beim Fernsehgottesdienst, der Chorsängerinnen, die meterweit voneinander entfernt stehen, ist ein Bild für die beispiellose räumliche und körperliche Trennung, die wir erleben. Die nötig ist. Ohne Frage. Und dennoch so sehr weh tut. Partner und Freunde, die einander nicht mehr im Seniorenheim besuchen können, nicht im Krankenhaus an der Seite ihrer kranken Angehörigen sein können, Väter, die nach der Geburt ihres Kindes nicht bei Mutter und Kind bleiben dürfen. Das sind schwere, ja sicher nicht selten untröstliche Situationen. Am kommenden Donnerstag wird mein Vater 92. Ich werde ihn nicht besuchen können, das Heim, in dem er lebt, bittet dringend darum, auch nicht vor der Tür ein Geburtstagsständchen zu bringen, wie ich es mir überlegt hatte. Andere Weisen der Kommunikation außer der durch direktes Miteinandersprechen und die körperliche Nähe erreichen ihn in der Demenz nicht mehr wirklich.Das macht mich traurig und lässt mich mitfühlen mit allen, denen das direkte Zusammensein mit anderen Menschen fehlt. Auch der Gottesdienst in unserer Kirche, die Gemeinsamkeit in einem Raum, das Singen zusammen- auch wenn unsere Gemeinde nicht so „schön“ singt wie der Chor beim Fernseh-Gottesdienst -, das vielstimmige Vaterunser live, die freundlichen Blicke, das Lächeln, Hände, die sich berühren. All das fehlt mir.

Wie gut, daß es Fernsehgottesdienste gibt. Oder auch, wie in einigen Gemeinden unserer Region, Gottesdienste per Live-Stream, wie gut, daß es Andachten über das Internet gibt – einige auf unserer Website zu hören und unter www.itzehoer-andachten.de sowie unter der Telefonnummer.. Aber trotzdem: Daß wir alle wieder lebendige Gemeinschaft miteinander und vor Ort erleben können, uns ansehen und berühren können, uns die guten Worte ins Gesicht sagen können und das Lächeln gleich hinterherschicken – das möge Gott uns schenken. Was wir dafür tun können, wollen wir tun, und was in Gottes Hand liegt, ihm überlassen. Wie es ein wirklicher „Meister des Trostes“ in schwerer Zeit, Paul Gerhardt, gedichtet hat: Befiehl dem Herrn deine Wege und was dein Herze kränkt, der allertreusten Pflege des, der den Himmel lenkt. Der Wolken, Luft und Winden gibt Wege, Lauf und Bahn, der wird auch Wege finden, da dein Fuss gehen kann.

Pastorin Dr. Wiebke Bähnk