„Jeden Abend, wenn um 18.00 Uhr die Glocken läuten, zünden wir eine Kerze an, setzen uns in Ruhe zu Zweit hin und beten.“ So erzählte es mir vorgestern ein Mann aus unserer Gemeinde am Telefon. Und eine Frau sagte mir, daß das Glockengeläut um 18.00 Uhr für sie das Zeichen ist, sich auf die rote Bank in ihrem Vorgarten zu setzen, die Augen zu schließen und innezuhalten. Das sind zwei Menschen von vielen, die den Kollegen und Kolleginnen in den anderen Itzehoer Gemeinden und uns in der Innenstadtgemeinde gesagt oder geschrieben haben, wie wichtig dieser Moment ihnen geworden ist. Ein Ruhepunkt, ein Halt mitten in aller Ungewißheit und Angst. Auch weil alle, die in diesem Moment innehalten, wissen können, daß sie damit nicht allein sind. Dass das jetzt gerade auch viele andere tun. Auf die eine oder andere Weise; darauf kommt es sicher nicht an. Und daß viele diese Minuten beenden mit dem Vaterunser. Gemeinsam und vielstimmig.
Kritische Stimmen sagen, daß das Gebet die Situation nicht verändert. Die Infektionszahlen und die Zahlen der an Covid-19 Verstorbenen gehen hoch, überall in der Welt, auch in Deutschland, die Überforderung und Überlastung in den Gesundheitswesen vieler Ländern übersteigt das Vorstellbare, die körperlichen und seelischen Folgen der Isolation und Einsamkeit sind immens, ebenso die wirtschaftlichen, die Existenznöte zahlloser Menschen, der Zusammenbruch der Versorgung Wohnungsloser und an manchen Orten auch der Menschen, die bislang die Hilfe der Tafeln und der Suppenküchen hatten. Die Situation verändert sich nicht. Das stimmt. Gebet führt nicht dazu, daß Gott einfach mal kurz alles für uns regelt und wieder in die richtige Bahn bringt. Er braucht uns schon dafür. Und wir brauchen dafür das Gebet, damit wir uns in der Gewißheit stärken, daß Er uns nie verlässt, uns mit seinem Geist der Kraft (2. Tim 1,7) erfüllt und uns Mut macht, anzupacken, was jetzt Not tut. Ob wir älteren Nachbarn helfen, Freunden und Familienangehörigen, ob wir uns als Freiwillige in Krankenhäusern melden, ob wir gemeinsam mit anderen überlegen, wie Wohnungslose und Menschen in sozialen Nöten jetzt trotz allem zu einer guten Versorgung kommen können. Ob wir anderen schlicht ab und an eine kleine Freude machen, mit freundlichen Botschaften, einer schönen Musik, guten Worten, und so der Isolation und der Traurigkeit entgegenwirken… Es gibt viele Möglichkeiten.
Wenn um 18.00 Uhr die Glocken läuten, in Itzehoe und anderswo, dann ist das eine Einladung zum Gebet. Aber das Gebet steht nicht allein. Schon die benediktinische Tradition wusste um den Zusammenhang von Beten und Arbeiten (ora et labora), und Dietrich Bonhoeffer fasste unsere Aufgabe zusammen als Beten und Tun des Gerechten. Beides gehört zusammen. Und deshalb sind die Glocken auch eine Einladung sich zu fragen: Was kann ich tun? Und das vielleicht mit einem Wort im Sinn, das da heißt: Handele so, als ob alles von Dir abhinge. Vertraue so, als ob alles von Gott abhinge.
Pastorin Dr. Wiebke Bähnk
Als ich gestern in unser Kirchenbüro kam, standen dort mehrere wunderschön bepflanzte Blumenschalen. Ein Kollege hatte sie für alle Mitarbeiterinnen der Gemeinde dort hingestellt – mit einem herzlichen Gruß. Narzissen, Krokusse, Primeln, Stiefmütterchen leuchteten mir in all ihrer Farbenpracht entgegen. Einfach ein Moment der Freude für mich. Und sicher genauso für die Kolleginnen. Vielen Dank an den Kollegen, der uns damit überrascht und erfreut hat. Und uns damit stärkt in den Ängsten, Sorgen, Unsicherheiten und offenen Fragen dieser Tage und Wochen.
Ein Freund sagte mir heute kritisch, es sei doch nicht gut, immer solche positiven Momente, Erfahrungen von Hilfsbereitschaft und liebevoller Unterstützung, die Dankbarkeit und die Wertschätzung für das von so vielen Menschen Geleistete in den Vordergrund zu stellen. Das führe leicht dazu, daß die immensen Probleme, z.B. die grundsätzlich schlechte Bezahlung der Pflegekräfte in Medizin und Seniorenheimen, um nur eines zu nennen, übersehen würden. Der Blick auf die positiven Erfahrungen kann auch als Beschwichtigung mißverstanden werden, daß doch alles nicht so schlimm sei. Doch, das ist es. Die Situation ist ungekannt, bedrängend, verunsichernd, beängstigend. Keiner von uns weiß, was auf uns zukommt. Viele machen sich Sorgen um Familienangehörige und Freunde, leiden auch unter den gesundheitlichen Folgen der Isolation oder müssen gar erleben, daß ihre Behandlungen zugunsten der erwarteten Corona-Patienten zurückgestellt werden; das ist sogar bei Tumor-Patienten so. Aber der Krebs wartet nicht in Ruhe ab, bis irgendwann die Epidemie vorbei ist. Viele Menschen geraten in große soziale Nöte, für Wohnungslose gibt es nahezu keine Anlaufstelle mehr, die „Tafeln“ haben allermeist geschlossen. Es ist wichtig und notwendig, all das nicht aus dem Blick zu verlieren. Aber es hilft nicht, den Blick nur darauf zu lenken und zu riskieren, daß die Ängste uns ganz und gar bestimmen. Damit verlieren wir alle Kraft und Handlungsfähigkeit, die wir jeweils an dem Ort, an den wir gestellt sind, für hilfreiches und verantwortliches Handeln benötigen.
Wir brauchen Momente der Freude, denn aus ihnen schöpfen wir Kraft: Die Seele nährt sich an dem, woran sie sich freut. So soll es der Kirchenvater Augustinus gesagt haben. „Nährstoff“ für die Seele brauchen wir in diesen Tagen noch mehr als sonst schon. Und die Blumenschalen, die meine Kolleginnen und mich so erfreuen – wie, nebenbei gesagt, all die Frühjahrsblüten, die Itzehoe in diesen Tagen in ein Farbenmeer verwandeln -, künden zugleich auch noch von Zuversicht. Wie alles, was nach langem Winter wieder blüht: Freunde, daß der Mandelzweig wieder grünt und blüht, ist das nicht ein Fingerzeig, daß die Liebe bleibt, so heißt es in einem Gedicht von Shalom BenChorin. Wer das singen mag: Im Evangelischen Gesangbuch die Nummer 606. Auch das wäre sicher ein Moment der Freude.
Pastorin Dr. Wiebke Bähnk
Heute komme ich erst am frühen Nachmittag dazu, ein paar „Gedanken zum Tag“ zu schreiben. Seit dem frühen Morgen habe ich telefoniert. Zuerst mit unserem Enkelkind. Sie wird heute zwei Jahre alt. Und statt sie zu ihrem Geburtstag in den Arm zu nehmen und mit ihr zu spielen, können wir sie nur anrufen. Immerhin per Videotelefonie. Wir konnten sehen, wie sie sich von allen Geschenken am meisten über die Bonbons freut, sie konnte ihren Großeltern dabei zuschauen, wie sie ihr „Viel Glück und viel Segen“ vorsingen und ihr zuwinken. Alle anderen Telefonate waren „klassische“, in denen wir einander „nur“ hören können. Familienmitglieder haben mich angerufen, eine Freundin, eine Kollegin. Ich habe Gemeindemitglieder angerufen, von denen ich ahne, daß sie eventuell Hilfe benötigen oder einfach ein offenes Ohr. In diesen Tagen, in denen die Unsicherheiten und Ängste immer größer werden, das Gefühl, daß da etwas auf uns zukommt, was wir weder einschätzen noch gänzlich verhindern können, immer stärker.
„Schweige und höre, neige deines Herzens Ohr, suche den Frieden.“ Diese Worte des Ordensgründers Benedikt von Nursia singen wir häufiger in der Gemeinde. Jetzt geht mir dieser Gesang nicht aus dem Sinn. Wo das Zuhören und Hinhören, die offenen Ohren und Herzen, wichtiger sind als je zuvor. Nicht nur, aber vor allem bei den Menschen, den älteren zumal, die sich jetzt einsam und isoliert fühlen, mit ihren Ängsten allein gelassen. Und wenn sie denn schon keinen Besuch mehr bekommen dürfen, wenigstens am Telefon ihre Seele erleichtern können. Familienmitglieder, Freunde, Nachbarn, Kollegen, Geschwister aus der Gemeinde anzurufen, nachzufragen und zuzuhören, ein offenes Ohr zu haben, ist ein großes Geschenk, das wir einander machen können. Vielleicht mögen Sie ja auch anbieten, gemeinsam am Telefon zu beten – und Gott zu bitten, daß er uns hört in der Not dieser Tage. Und wer dafür keine eigenen Worte hat, kann sich die „ausleihen“, mit denen schon vor dreitausend Jahren Menschen Gott um seine offenen Ohren gebeten haben: Herr, höre meine Stimme! Lass deine Ohren merken auf die Stimme meines Flehens. (Psalm 130,2) Und, wer weiß, mündet das gemeinsame Gebet auch in einen Trost, wie er sich auch in diesen uralten Worten findet: Ich harre des Herrn, meine Seele harret, und ich hoffe auf sein Wort. Denn bei dem Herrn ist die Gnade und viel Erlösung bei ihm. (Psalm 130,5.7)
Pastorin Dr. Wiebke Bähnk
„Danke“, so haben es Itzehoer mit Kreide auf das Pflaster vor dem Klinikum geschrieben – mit einem großen Herz umrandet. Ein großes Bild davon ist heute in der Zeitung. Eine ganze Seite mit kleinen Geschichten aus den Zeiten von Corona gibt es auch, Geschichten von Hilfsangeboten, treffenden Bemerkungen von Kindern und seltsamen Verhaltensweisen Erwachsener – nicht alle, aber die meisten humorvoll und herzerwärmend. Positive Kommentare zu der Ankündigung der Bildungsminsterin, auf unbürokatische Weise den Schülerinnen und Schülern der Abijahrgänge in Schleswig-Holstein zu helfen und in diesem Jahr auf die Abschlußprüfungen an den Schulen verzichten zu wollen. Ein ausführlicher Bericht über eine Medizinstudentin, die sich als Freiwillige zur sogenannten „Erstsichtung“ von Patienten im Klinikum Kiel zur Verfügung stellt – voller Wertschätzung und Achtung ihr und den zahllosen anderen in dieser Krise freiwillig und ehrenamtliche Helfenden gegenüber. Und dann diese wichtige Nachricht: Kiel will schwer erkrankte Corona-Patienten aus Italien aufnehmen. Dort ist das Gesundheitssystem vollkommen überlastet, hier seien die Kapazitäten ja noch da, heißt es. Auch in Hamburg und in Sachsen werden bereits Corona-Patienten aus Frankreich und Italien intensivmedizinisch behandelt. In schweren Zeiten und aller Angst und Ungewißheit doch auch eine Fülle guter Nachrichten.
„Danke“ für diese Nachrichten, die Mut machen, auch mal zum Lachen bringen – Humor ist ein gutes „Ventil“ für Anspannung und Sorgen, versuchen Sie es einmal! Und „Danke“ für diese Nachrichten, die davon berichten, was in diesen Tagen wirklich trägt. Die Bereitschaft, zu helfen, wie es jedem und jeder jeweils möglich ist, auch unkonventionelle und ungewohnte Wege zu betreten, wenn die gewohnten schlicht nicht mehr passen, und in allem immer auch auf das Wohl anderer Menschen zu schauen. Bei dem Apostel Paulus heißt das: Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.(Gal 6,2) Und mit den in der Zeitung zitierten Worten des Leiters der Unikliniken Schleswig-Holstein: „Helfen ist ein Gebot der Menschlichkeit.“ Nicht nur jetzt. Aber jetzt wird es uns besonders bewusst. „Danke“ an alle, die genau das tun, „Danke“ an alle, die davon berichten, auch die guten Nachrichten weitergeben.
Pastorin Dr. Wiebke Bähnk
Wir müssen Abstand halten wie wir es niemals zuvor erlebt haben – und rücken doch näher zusammen. Das ist in allen Ängsten und Unsicherheiten dieser Tage die beeindruckende Erfahrung. Geradezu eine Welle an Hilfsbereitschaft breitet sich aus, Nachbarn kaufen füreinander ein, Pfadfinder bieten Hilfe beim Einkaufen oder beim Ausführen von Hunden an, junge Mitglieder von Vereinen und Parteien genauso. Mit viel Phantasie und geradezu überbordender Kreativität geben Menschen sich gegenseitig Zeichen der Fürsorge und der guten Gedanken, ein freundlicher Kartengruß findet sich im Briefkasten, schöne Fotos, gute Worte, kleine Videos mit einem Gruß, Audiodateien mit tröstlicher Musik werden per Whatsapp verschickt und vielfach geteilt. Sich bei Familienmitgliedern, Freunden, Nachbarn, Kollegen per Telefon zu erkundigen, wie es ihnen gehe, wird auf einmal zur liebevollen täglichen Selbstverständlichkeit. Und an vielen Orten werden auch Versuche unternommen, die nicht aus dem Blick zu verlieren, die besonders unter dem Wegbrechen öffentlicher Hilfsangebote leiden, z.B. durch „kontaktfreie“ Ausgaben von Lebensmitteln durch die Tafeln.
So beängstigend die Herausforderung durch das Virus ist, diese Veränderung des Miteinanders ist im wahrsten Sinne des Wortes wunderbar. Es heißt nicht mehr: Wenn jeder für sich sorgt, ist für alle gesorgt, sondern: Wenn wir füreinander sorgen, ist für alle gesorgt. Und wir nehmen wahr, daß wir nicht nur äußerlich aufeinander gewiesen und verantwortlich füreinander sind, sondern auch im tiefsten Sinne verbunden. Der Apostel Paulus hat die Zusammengehörigkeit aller Christen mit dem Bild des „Leibes“ ausgedrückt, in dem alle Glieder einander benötigen. In dem aber auch Leid und Freude eines Gliedes den ganzen Leib betreffen: Wir sind durch einen Geist zu einem Leib getauft..und der Leib ist nicht ein Glied, sondern viele… Und wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit, und wenn ein Glied geehrt wird, so freuen sich alle Glieder mit. (1. Kor 12,13f.26) Daß wir dieses „organische“ Miteinander wahrnehmen, drückt sich in der Verantwortung aus, die wir füreinander übernehmen, in Mitgefühl und Altruismus, in den vielen Zeichen der Verbundenheit. In Italien heißt dieses Miteinander jetzt so schön Distanti ma uniti. Im Deutschen ist das nicht ganz so klangvoll – voneinander entfernt, aber vereint -, aber um nichts weniger tröstlich, berührend (auch das geht ohne Körperkontakt!) und Mut machend.
Pastorin Dr. Wiebke Bähnk
Meine Nachbarin hat Geburtstag. In Zeiten von Corona kann ich ihr keinen Strauß frischer Frühlingsblumen schenken. Stattdessen stelle ich ihr mit meinem Geburtstagsgruß ein paar Tütchen mit Blumensamen vor die Tür. Kurze Zeit später ihre Worte per Whatsapp: „Ich freue mich über die Blumenpracht in spe.“ „In spe“ meint das, worauf sich unsere Hoffnung richtet. Dass die ausgesäten Blumensamen aufgehen und die Ringelblumen, Sonnenblumen und Bechermalven im Sommer farbenfroh blühen. Dass unser Gesundheitssystem den Herausforderungen und Belastungen dieser Zeit standhält, die Pflegekräfte, Ärztinnen und Ärzte, alle, die schon jetzt an ihren Grenzen arbeiten, immer wieder genügend Kraft bekommen für ihren Dienst, sich nicht selbst infizieren. Dass es gelingt, durch die Maßnahmen und Regelungen dieser Tage, durch Kontaktsperren, Quarantänen, und durch Vernunft allerorten die Ansteckungszahlen und die Zahlen der Erkrankten und der Toten deutlich zu verringern. Dass die Familien, in denen Großeltern, Mutter oder Vater, Schwester oder Bruder oder ein Kind – denn Covid-19 betrifft lange schon nicht mehr nur ältere Menschen – sterben, in ihrem Leid nicht allein gelassen werden. Und dass es eine Zeit „danach“ gibt, in der wir wieder zusammen im Garten sitzen können, uns auf der Straße begegnen, miteinander face to face sprechen, uns in den Arm nehmen – ohne Ängste.
Hoffnung hat eine große Kraft. Eines meiner Lieblingsgedichte von Rose Ausländer, das in diesen Tagen eine ungekannte Aktualität bekommt, drückt das aus: Wer könnte atmen ohne Hoffnung, daß auch in Zukunft Rosen blühen. Ein Liebeswort die Angst überlebt. Wer die Hoffnung bewahrt, wagt es, über den Horizont zu schauen. Über die Unsicherheiten und über alle Angst hinweg. Und das nicht, um sich einer Illusion hinzugeben oder die Nöte zu ignorieren. Sondern um die Kraft zu haben, selbst die Verantwortung für das zu übernehmen, was jeweils in unseren Möglichkeiten steht. Und das weil wir das Vertrauen haben dürfen, daß der Grund aller Hoffnung in Gott selbst liegt, der uns zusagt: Ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der Herr: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, daß ich euch gebe Zukunft und Hoffnung. (Jeremia 29,11)
Die eigene Verantwortung zu sehen und bewusst zu übernehmen, zu Hause zu bleiben, Abstand zu halten, zugleich Hilfe anzubieten, wie sie in diesen Tagen möglich und nötig ist, kreative und phantasievolle Möglichkeiten für praktische Unterstützung und Zeichen der Zuwendung und Liebe zu leben – und das aus dem Vertrauen heraus zu tun, dass Gott uns Zukunft und Hoffnung geben will. Hoffnung, Verantwortung und Gottvertrauen. All das gehört zusammen. Und schenkt uns zusammen die Kraft, die wir brauchen. Darauf hoffen wir.
Pastorin Dr. Wiebke Bähnk
Gestern abend hat mich meine Tochter angerufen – kurz nach 21.00 Uhr. Sie lebt in Hamburg – und wie schon zuvor in Italien waren auch dort um diese Zeit zahllose Menschen auf die Balkone gegangen und hatten applaudiert. Den Menschen, die im Gesundheitswesen arbeiten, den Pflegekräften, den Ärztinnen und Ärzten in den Praxen und Krankenhäusern, den Wissenschaftlern, die nach Medikamenten und Impfstoffen forschen. Den Pflegekräften in Seniorenheimen und den ambulanten Pflegediensten. Aber auch den Beschäftigten in den Lebensmittelläden und allen anderen, die unsere Versorgung mit dem Lebensnotwendigen gewährleisten, „den Laden am Laufen halten“. Und das eben durchaus ja mit einem erheblichen Risiko für die eigene Gesundheit. Der Theologe Dietrich Bonhoeffer hat vor etwa 80 Jahren gesagt: Dankbarkeit sucht über die Gabe den Geber. Sie entsteht an der Liebe, die sie empfängt. Dankbarkeit macht das Leben erst reich. Und er hat das auch in bedrängter, schwerer Zeit gesagt.
Dankbarkeit lenkt den Blick auf das Positive, auf das, was wir empfangen. Nicht auf das, was uns mangelt. Und sie lenkt den Blick auf diejenigen, von denen wir etwas empfangen, ist Ausdruck unserer Wertschätzung. Deshalb tut sie not in diesen Tagen. Und zugleich gut. Weil wir durch sie immer wieder von all dem, was uns bedrängt und ängstigt, aufschauen und auf das sehen, was uns hilft und stärkt, was es möglich machen kann, daß wir gemeinsam diese Herausforderung bestehen: Die Bereitschaft so vieler Menschen, „den Laden am Laufen zu halten“, im Gesundheitswesen, in der Politik, in der alltäglichen Versorgung – und nicht zu vergessen: Die Hilfsbereitschaft und Solidarität der vielen „stillen Helden“, die Einkäufe machen, nachfragen, anrufen, Briefe schreiben, ein schönes Video per Whatsapp schicken und vieles mehr, einfach weil es Freude macht und tröstet.
Wer jetzt die gewohnte Routine des Alltags vermisst: Hier zwei Vorschläge für eine neue Routine am Abend: 18.00 Uhr Innehalten und das Vaterunser beten. Wenn in allen Itzehoer Kirchen die Glocken läuten. 21.00 Uhr Applaudieren und danken. In Verbundenheit mit vielen Menschen, die das zeitgleich tun. In Itzehoe, in Hamburg, in Berlin, in Italien, weltweit.
Pastorin Dr. Wiebke Bähnk
Social Distancing heißt das Motto dieser Tage. Abstand halten. Wenn es irgend möglich ist Zuhause bleiben. Pflegekräfte und Ärzte bitten allenthalben: Wir bleiben für euch hier, bleibt für uns zu Hause. Zuhause bleiben fällt den meisten von uns schwer, Abstand halten auch. Wir sind soziale Wesen, gewöhnt, Zuwendung und Verbundenheit auch durch Nähe auszudrücken. Nicht nur die Jugendlichen, die mit ihrer Clique zusammen sein wollen. Auch für Menschen, die Angehörige in einem Seniorenheim oder zur Zeit im Krankenhaus haben, die sie jetzt gar nicht oder nur sehr eingeschränkt besuchen dürfen, ist diese Situation schwer auszuhalten. Und die, die kaum noch Besuch bekommen, fühlen sich isoliert und vereinsamt. Nicht immer ist das aufzufangen.
Aber etwas tröstet: Daß so viel Phantasie und Bereitschaft da sind, andere, kreative Wege zu finden, Zuwendung auszudrücken: Gespräche am Telefon, ein wunderschöner altmodischer Brief, ein „Care“-Paket mit stärkendem Inhalt, Live-Musik vor einem Seniorenheim, ein Klopfen ans Fenster beim Nachbarn oder bei einem Heimbewohner, ein kurzes Gespräch unter freiem Himmel mit gebührendem Abstand von mindestens 2 m, freundliches Winken, Nicken und Lächeln – von der anderen Straßenseite aus. Unterschätzt das nicht!
Und noch etwas tröstet: Daß das Wissen um die Verbundenheit im Glauben nicht an der Anwesenheit in einem Raum, einer Kirche, nicht an physischer Nähe hängt. Wir sind durch den einen Geist Gottes miteinander verbunden, so sagt es der Apostel Paulus, egal, wo wir sind, in unseren Häusern, in den Krankenhäusern, den Heimen, in Itzehoe und Umgebung, in Kreis, Land und sogar in aller Welt. Und erkennen können wir diese Verbundenheit an all dem, was dieser Geist in uns wirkt, an den „Früchten“, die er bringt. Der Apostel Paulus nennt da unter anderem die Freundlichkeit, die Geduld – und die Liebe (Gal 5,2). Und die wiederum ist die Kraft in uns, die uns bewegt, auf das zu schauen, was den Mitmenschen nützt, für sie mit Verantwortung zu übernehmen. Und wenn das heißt Abstand zu wahren, dann ist eben genau das Liebe in Zeiten von Corona.
Pastorin Dr. Wiebke Bähnk