Es erhob sich ein großer Windwirbel, und die Wellen schlugen in das Boot. (Mk 4, 37) So erleben es die Jünger auf dem See Genezareth. Die Erfahrungen dieses Jahres versetzen auch uns mitten in ein aufgewühltes Meer. Und nun brandet die zweite „Welle“ der Pandemie heran. Und mit ihr die Gefühle der Bedrohung, der Unsicherheit, der Angst.

Fürchtet euch nicht, hören wir als Wort Jesu im Evangelium für den Reformationstag (Mt 10, 28). Aber wie sich nicht fürchten, wenn es doch so vieles gibt, was zum Fürchten ist? Dass das so ist, weiß Jesus auch: In der Welt habt ihr Angst, sagt er uns mit klarem Blick auf die Realitäten. Ja, haben wir: Vor religiösen Fanatikern und vor Kriegstreibern, vor machtbesessenen Potentaten und Populisten, vor dem Zerbrechen unseres gesellschaftlichen Zusammenhalts. Vor einem Virus und seinen bislang undenkbaren Folgen. Fürchtet euch nicht heißt nicht, verschließt die Augen davor, zieht euch in eure Nischen zurück, wo vielleicht die Brandung nicht so zu hören ist. Fürchtet euch nicht heißt, lasst euch nicht überwältigen von dem, was euch Angst macht. Nicht lähmen, auch nicht manipulieren. Das geht nämlich ziemlich gut mit Menschen, die Angst haben. Entängstigt euch, so hat es ein katholischer Theologe, Paul Zulehner, treffend ausgedrückt.


Entängstigt euch! Wer mitten in der Brandung steht, braucht eines, um nicht von Angst überwältigt zu werden: festen Grund unter den Füßen. Was aber gibt festen Halt, von welchem Grund sagen wir, ganz frei nach Luther: Hier stehe ich – und kann auch stehen bleiben, wenn die Wellen anbranden? Einen anderen Grund kann niemand legen als den der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus. So hören wir es von Paulus (1. Kor 3,11) . Vier Gedanken dazu, was es heißt, auf diesem Grund zu stehen:

  1. Es heißt aus der Vergebung zu leben: Aus der, die uns durch Jesus Christus geschenkt wird, und genauso aus der, die wir anderen geben. Z.B. den Menschen, die Verantwortung in diesen Zeiten übernehmen und damit immer auch das Risiko von Fehlentscheidungen, ob nun in der Politik oder in der Leitung von Einrichtungen. Wir werden einander viel zu vergeben haben, sagte Jens Spahn zu Beginn der Pandemie. Ohne Versöhnlichkeit und Vergebungsbereitschaft und den Verzicht auf Schuldzuweisungen reißen die Wellen uns von den Füßen und als Gesellschaft und Gemeinschaft auseinander.
  2. Es heißt aus der Liebe zu leben. Wo Christus der Grund ist, auf dem wir stehen, ist die Liebe die größte Kraft Gottes in uns und die höchste Richtschnur des Lebens. Halte lieb deinen Genossen, er ist wie du. (Mk 12,31 Übers. Martin Buber). Während Angst trennt und entsolidiarisiert, verbindet die Liebe uns miteinander. Und was heißt das, um nur eine Frage zu nennen, im Umgang mit den Menschen in Senioren- und Pflegeheimen? Heißt es nicht, ihnen die menschliche Begegnung, die Berührung, das Lächeln und die freundlichen Worte von Angesicht zu Angesicht auf keinen Fall vorzuenthalten?
  3. Es heißt aus der Hoffnung zu leben, dass das Leben gebunden an Zeit, Raum und Körperlichkeit nicht unser einziges ist. Und daraus Gelassenheit zu schöpfen, auf dass wir nicht meinen, um jeden Preis jedes Lebensrisiko vermeiden zu wollen.
  4. Und es heißt Vertrauen zu bewahren: Dass es einen gibt, der auch mitten im Sturm dabei ist und bleibt. Und dessen Macht größer ist als die Macht all dessen, was uns ängstigt. So wie die Jünger es mitten auf dem See Genezareth erleben. Er ist der, dem Wind und Meer gehorsam sind. Und deshalb: Fürchtet euch nicht. Entängstigt euch. Denn Ihr habt einen festen Grund, auf dem Ihr stehen könnt. Auch mitten in der Brandung.
    Amen

Pastorin Dr. Wiebke Bähnk