Als ich gestern in unser Kirchenbüro kam, standen dort mehrere wunderschön bepflanzte Blumenschalen. Ein Kollege hatte sie für alle Mitarbeiterinnen der Gemeinde dort hingestellt – mit einem herzlichen Gruß. Narzissen, Krokusse, Primeln, Stiefmütterchen leuchteten mir in all ihrer Farbenpracht entgegen. Einfach ein Moment der Freude für mich. Und sicher genauso für die Kolleginnen. Vielen Dank an den Kollegen, der uns damit überrascht und erfreut hat. Und uns damit stärkt in den Ängsten, Sorgen, Unsicherheiten und offenen Fragen dieser Tage und Wochen.
Ein Freund sagte mir heute kritisch, es sei doch nicht gut, immer solche positiven Momente, Erfahrungen von Hilfsbereitschaft und liebevoller Unterstützung, die Dankbarkeit und die Wertschätzung für das von so vielen Menschen Geleistete in den Vordergrund zu stellen. Das führe leicht dazu, daß die immensen Probleme, z.B. die grundsätzlich schlechte Bezahlung der Pflegekräfte in Medizin und Seniorenheimen, um nur eines zu nennen, übersehen würden. Der Blick auf die positiven Erfahrungen kann auch als Beschwichtigung mißverstanden werden, daß doch alles nicht so schlimm sei. Doch, das ist es. Die Situation ist ungekannt, bedrängend, verunsichernd, beängstigend. Keiner von uns weiß, was auf uns zukommt. Viele machen sich Sorgen um Familienangehörige und Freunde, leiden auch unter den gesundheitlichen Folgen der Isolation oder müssen gar erleben, daß ihre Behandlungen zugunsten der erwarteten Corona-Patienten zurückgestellt werden; das ist sogar bei Tumor-Patienten so. Aber der Krebs wartet nicht in Ruhe ab, bis irgendwann die Epidemie vorbei ist. Viele Menschen geraten in große soziale Nöte, für Wohnungslose gibt es nahezu keine Anlaufstelle mehr, die „Tafeln“ haben allermeist geschlossen. Es ist wichtig und notwendig, all das nicht aus dem Blick zu verlieren. Aber es hilft nicht, den Blick nur darauf zu lenken und zu riskieren, daß die Ängste uns ganz und gar bestimmen. Damit verlieren wir alle Kraft und Handlungsfähigkeit, die wir jeweils an dem Ort, an den wir gestellt sind, für hilfreiches und verantwortliches Handeln benötigen.
Wir brauchen Momente der Freude, denn aus ihnen schöpfen wir Kraft: Die Seele nährt sich an dem, woran sie sich freut. So soll es der Kirchenvater Augustinus gesagt haben. „Nährstoff“ für die Seele brauchen wir in diesen Tagen noch mehr als sonst schon. Und die Blumenschalen, die meine Kolleginnen und mich so erfreuen – wie, nebenbei gesagt, all die Frühjahrsblüten, die Itzehoe in diesen Tagen in ein Farbenmeer verwandeln -, künden zugleich auch noch von Zuversicht. Wie alles, was nach langem Winter wieder blüht: Freunde, daß der Mandelzweig wieder grünt und blüht, ist das nicht ein Fingerzeig, daß die Liebe bleibt, so heißt es in einem Gedicht von Shalom BenChorin. Wer das singen mag: Im Evangelischen Gesangbuch die Nummer 606. Auch das wäre sicher ein Moment der Freude.
Pastorin Dr. Wiebke Bähnk