Zwei Männer sitzen auf einer Veranda eines alten Hauses irgendwo in Iowa. Sie sind Brüder. Auf der Auffahrt zu dem Haus steht ein John-Deere-Aufsitzrasenmäher mit einem selbstgebauten, mit einer Plane überdachten Anhänger. “Bist du da drauf den ganzen Weg gefahren nur wegen mir?”, fragt der eine. “Ja, Lyle”, sagt der andere. Zehn Jahre haben sie kein Wort miteinander gesprochen; nun aber, als er hört, dass es seinem Bruder nicht gut geht, hat sich Alwin Straight auf den Weg zu ihm gemacht. Weil er nicht mehr gut sehen kann, nicht Auto fahren darf, zu seinem Bruder auch kein Bus fährt, auf seinem Aufsitzrasenmäher. Von Wisconsin nach Iowa, sechs Wochen braucht er für den Weg. Eine wahre Geschichte, berührend verfilmt in “The Straight Story” von 1999.
Bei einer der vielen Begegnungen auf seinem langen Weg wird Alwin gefragt, warum er diese Anstrengungen auf sich nimmt: Er erzählt vom engen Verhältnis der Brüder in ihrer Kindheit, vom Aufwachsen auf einer Farm Minnesota, vom gemeinsamen Erzählen und Träumen. Und dann eines Tages sind böse Worte zwischen ihnen gefallen. “Die Geschichte ist so alt wie die Bibel. Kain und Abel. Eitelkeit, Wut. Und wenn dann noch Alkohol dazu kommt, hat man zwei Brüder, die kein Wort miteinander reden seit vielen Jahren. Aber alles, was Lyle und mich so wütend gemacht hat, das spielt keine Rolle mehr. Ich will mit ihm Frieden schließen, ich will neben ihm sitzen und in den Himmel sehen. Genauso wie in alten Zeiten.” Und so kommt es, dass die zwei Männer auf Lyles Veranda sitzen. Einer hat sich auf den langen Weg gemacht, einer hat die Tür geöffnet; beide lassen hinter sich, was war. Kehren zurück in ihre alte Verbundenheit. Schließen Frieden miteinander.
Eine Geschichte von Versöhnung. Versöhnung ist “der Anfang, die Mitte und das Ende des gesamten Evangeliums”, so hat es der Franziskaner Richard Rohr gesagt. Bei dem Apostel Paulus heißt das so: “ Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit ihm selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung.” Versöhnung zwischen Gott und uns Menschen, das ist Sein Geschenk an uns. Wie mit allen Geschenken ist es aber auch mit diesem: Es bekommt nur eine Bedeutung für mich, wenn ich es annehme. Das Geschenk der Versöhnung anzunehmen heißt zu glauben, dass Gott mit mir verbunden sein, mit mir im Frieden sein möchte. Und es heißt, selbst als Versöhnte Versöhnung zu leben, weiterzugeben. Paulus nennt das den “Dienst der Versöhnung”. Er ist uns aufgetragen. Grundsätzlich – und dann, wenn die Gräben in der Gesellschaft, zwischen Menschen tiefer werden, erst recht. Wenn von uns Versöhnung ausgeht, dann entsprechen wir dem, was uns geschenkt ist von Gott. Und tragen sein Geschenk mit in unsere Welt hinein.
Wie unsere Geschichten von Versöhnung aussehen, wird sehr verschieden sein. Ob wir einen Streit beilegen, Frieden schließen mit dem, mit dem wir Jahre kein Wort gewechselt haben, ob wir vermittelnde Worte finden in einem Konflikt, in der Familie, am Arbeitsplatz, ob wir bereit sind, etwas, was uns angetan wurde, nicht mehr aufzurechnen, mit jemandem nicht mehr abrechnen zu wollen, ob wir um Entschuldigung bitten oder Menschen an einen Tisch laden, die sonst nichts miteinander zu tun haben wollen.
Versöhnliche Schritte, auch das wissen wir meist gut aus Erfahrung, sind nicht immer leicht zu gehen – selbst wenn wir nicht Hunderte von Kilometern auf einem Aufsitzrasenmäher von John Deere zurücklegen müssen -. Aber jeder Schritt, und erschiene er uns noch so klein, macht einen Unterschied. Jeder und jede von uns macht einen Unterschied, wenn wir den Weg zum anderen einschlagen, die Hand ausstrecken, das “Wort von der Versöhnung”, das Gott uns zugesagt hat, weitersagen. Auf dass hier und da und dort, wo das geschieht, die Welt ein klein wenig friedvoller und versöhnter wird. Auf der Veranda eines alten Hauses in Iowa oder hier bei uns in Itzehoe oder ganz woanders auf unserem Planeten.
Amen