Überall lange zu warten, das sind wir nicht gewohnt. Zumindest für all diejenigen, die im Westteil Deutschlands aufgewachsen sind, gehören „Schlangen“ nicht so sehr zur alltäglichen Erfahrung. Beim Hausarzt kann es mal eine Wartezeit geben. Aber vor der Post, gar vor einem riesigen Lebensmittelladen, in den eben nur so viele Menschen hinein dürfen, wie es Einkaufswagen gibt? Das Warten fällt nicht allen gleich leicht. Zumal ja auch die Unterhaltung in der Warteschlange durch den Abstand und die Masken, die nicht alles Gesprochene noch deutlich „durchlassen“, erschwert ist. Die Zeit in der „Schlange“ wird schnell lang, mancher fängt an zu murren und sich zu ärgern.
Als ich darüber nachdachte, habe ich mich daran erinnert, wie der östereichische Schriftsteller Karl-Heinrich Waggerl in berührender Weise über die Adventszeit in seiner Kinderzeit schreibt. Seine Aufgabe war es Jahr um Jahr, den Teig zu rühren für Kuchen und Gebäck, das seine Mutter buk. Wie lange er rühren sollte, mass sie in der „Zeiteinheit“ „Vaterunser“. Wenn er sieben Vaterunser gebetet und dabei gerührt hatte, war der Teig gut.
Nun geht es nicht darum, nach dem Warten vor dem Lebensmittelladen zu sagen: „Jetzt habe ich fünf Vaterunser lang gewartet.“ Aber was wäre denn mit dem Gedanken, diese Wartezeit einfach als geschenkte Zeit zu sehen, gerade auch für das Beten mitten im Alltag? Die Mystikerin Madeleine Delbrel hat dazu aufgefordert, immer wieder im Alltäglichen sogenannte „Zeitmulden“ zu finden, in denen wir beten können: „Unser Kommen und Gehen, …, die Augenblicke, da wir zu warten gezwungen sind – am Schalter, im Autobus -, das sind Gebetsmomente, die für uns bereitet sind…“, hat sie geschrieben. Gott schenkt uns mit diesen „Zeitmulden“ einen „Atemzug“, einen Moment, der uns und ihm gehört. Und auch den Menschen, für die wir Gott im Gebet danken oder bitten. Ich bin sicher, so eine „Zeitmulde“ für das Gebet findet sich auch vor der Post oder dem Lebensmittelladen. Einen Versuch ist es auf jeden Fall wert.
Pastorin Dr. Wiebke Bähnk